Prof. Grover Furr

beantwortet die Fragen zum Projekt

Die Wiederkehr des Faschismus – XXI

Das Stenogramm vom Interview am 06.15.2012

Lesen Sie das Interview auch in Englisch (Originalsprache) und Russisch.

 

 

 Teil I – Die Rückkehr des Nationalsozialismus

 
 

1. Sind Sie damit einverstanden, dass in Europa in den letzten Jahren ein Aufstieg des Neonazismus und zwar in einem für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unerhörten Ausmaß zu beobachten ist?[1] So marschieren beispielsweise jedes Jahr, in den baltischen Staaten, die übrigens Mitglieder der Europäischen Union sind, Veteranen der Waffen-SS durch die Straßen von Riga und Tallinn. Im Oktober 2010 hat das Deutsche Historische Museum in Berlin die Ausstellung "Hitler und die Deutschen"[2] mit dem Untertitel "Volksgemeinschaft und Verbrechen" eröffnet. Die Formel "Volksgemeinschaft" wurde von den Nazis erfunden. Die Ausstellung stieß auf großes Interesse bei dem deutschen Publikum. Das Thema der Ausstellung hieß "Hitler als Verkörperung des volkstümlichen Ideals des Retters der Nation"
http://www.guardian.co.uk/world/2010/oct/14/germany-first-hitler-exhibition-opens

Was halten Sie von solchen Ereignissen? Was sind die Ursachen und Hintergründe für die Wiederbelebung des Nationalsozialismus?

 

 

Es kam zur politischen Aktivierung rechtsradikaler Bewegungen in Osteuropa, in den ehemaligen sowjetischen Ostblockstaaten. Ich denke, dass man diese Aktivierung der Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion und dem Niedergang der Konzeption des Internationalismus zurechnen kann. Teilweise liegt es natürlich an der Wiederbelebung der besonders räuberischen Art des Kapitalismus, welcher seit 1991 die Arbeiterbevölkerung dieser Länder zu plündern begann, aber auch viele von denen volkswirtschaftlich ruinierte, deindustrialisierte, um eine kleine Anzahl von Menschen zu bereichern.

 

Etwas Ähnliches spielte sich natürlich auch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern während der Großen Depression der 1930-er Jahre ab. Damals hat man auch einen Aufstieg dessen beobachtet, was wir heute Nationalismus nennen Also den Aufstieg rechtsradikaler autoritärer nationalistischer Bewegungen: Nationalsozialismus in Deutschland, Faschismus in Italien und eine spezifische Art vom Militarismus in Japan. In Wirklichkeit galt das aber für fast alle europäische Staaten, vor allem in Osteuropa, und ich denke, dass heute die gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen vorliegen.

 

Rechtsextremer Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Angriffe auf Ausländer und Immigranten, das alles wird anscheinend dazu verwendet, um die Aufmerksamkeit von der Armut und der zunehmenden Ausbeutung der Arbeiterbevölkerung abzulenken und einen "Sündenbock" zu finden.

 

Einer der wichtigsten "Sündenböcke" ist natürlich die Sowjetunion. Um die Aktivitäten der rechtsradikalen und oft rein nazistisch-nationalistischen Bewegungen zu verdecken, wird das Bild einer schrecklichen und grausamen Sowjetunion verwendet. Die neuen nationalistischen Bewegungen – die Nachfolger der alten – sind heutzutage sehr stark und sind sogar in den Regierungen vieler Staaten vertreten. Um aber ihre Nachsicht mit dem Nationalsozialismus zu verstecken, greifen sie Kommunismus und die Sowjetunion an.

 

Um dies zu ermöglichen, musste man Schreckensgeschichten erfinden. Generell war es notwendig, die Sowjetunion der 1930-er Jahre mit dem Nationalsozialismus, und Hitler mit Stalin zu verbinden, um diese Verbindung als Deckmantel für die blutigen Nazi-Aktivitäten der nationalistischen Gruppen in den 1930-er Jahren und, natürlich, während des Zweiten Weltkrieges sowie der repressiven rassistischen Ausnutzungspolitik von heute zu nutzen. Ich denke, dass alle diese Komponenten der Zunahme des Neonazismus beitragen, welcher in der Tat eine Art Wiederbelebung des alten Nazismus in Osteuropa ist.

 

Ich beschäftige mich vor allem mit der sowjetischen Geschichte der 30-er und 40-er Jahre, kenne mich auf dem Gebiet gut aus und verstehe, wie die Gräuelmärchen über die Sowjetunion erfunden werden, um die Nazi-Aktivitäten der Nationalisten vor und während des Krieges sowie deren heutige brutale und ausbeuterische Wirtschaftspolitik, die sich gegen die Arbeiterklasse ausrichtet und viel Leid bei den Arbeitern dieser Staate verursacht hatte, zu rechtfertigen und zu vertuschen.

 

 

2. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet jährlich die Resolution A / RES / 64/147, A / RES / 66/143, in der es über die Unzulässigkeit bestimmter Praktiken, die zum Schüren moderner Formen von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundener Intoleranz, handelt. Warum stimmen jedes Jahr immer mehr Länder gegen diese Resolution ab?

 

 

Jedes Jahr erlässt die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution über die Unzulässigkeit bestimmter Praktiken, die Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz unterstützen und es stimmt auch, dass jedes Jahr einige Staaten darauf verzichten, ihre Stimme für diese Revolution abzugeben. Ich kann Resolution nicht in jeder Hinsicht als positiv einschätzen. Ich bin allerdings der Meinung, dass es hilfreich wäre, die zwei Seiten einer Münze zu betrachten.

 

In erster Linie ist es natürlich nicht überraschend, dass die Länder Osteuropas, deren Regierungen und einflussreiche Kreise solche Diskriminierungsformen aktiv ausüben, diese Resolution nicht unterstützen, weil diese ja gegen sie selbst gerichtet werden kann.

 

Eine weitaus negativere Eigenschaft dieser Resolution ist allerdings die Tatsache, dass in einer Reihe osteuropäischer Ländern, wo die Neonazis sehr einflussreich oder sogar in der Regierung sind, massiv versucht wird, die Sowjetunion als eine rassistische, fremdfeindliche und völkervernichtende Macht darzustellen. Leider werden aber in solchen Arten von Resolutionen sehr allgemeine Definitionen verwendet, was nahezu dazu einlädt, diese sehr frei zu interpretieren oder sogar zu missbrauchen. Die Resolution, die der Bekämpfung des ultrarechten Nationalismus dienen sollte, könnte wahrscheinlich im gleichen Umfang von Nationalisten selbst für eigene Zwecke benutzt werden.

 

Beispielsweise setzen sich in der Ukraine sehr einflussreiche politische Kräfte für die Anerkennung der Hungersnot der 1932-1933 Jahre als Genozid des ukrainischen Volkes vonseiten des sowjetischen Staates ein. Diese absolut falsche und durch keine Evidenz unterstützte Behauptung wird nicht nur in der Schule als Pflichtteil des Lehrprogramms unterrichtet, es wird vielmehr versucht, auf der politischen Ebene einen Verbot auszusprechen, gegen diese Behauptung zu argumentieren, weil es nicht erlaubt sei, den Völkermord zu propagieren.

 

Eine ähnliche politische Bewegung in Polen versucht die Diskussion über Katyn Forschung als illegal zu erklären. In Wirklichkeit ist es aber eine offene Frage. Es werden seriöse wissenschaftlich- historische Diskussionen geführt, wer für den Massenmord in Polen nahe Smolensk, in Katyn und anderen Orten schuldig ist.

 

Die Tatsache ist, dass nicht alle Beweise gegen die Sowjetunion sprechen, es gibt auch sehr viele Indizes gegen die Nazis, außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die Indizes gegen Sowjetunion gefälscht wurden. Eigentlich ist es eine offene Frage, es wird allerdings versucht, sie zu einem abgeschlossenem Thema zu erklären und damit zu ermöglichen, jeden Hinterfragenden oder Zweifelnden als einen Staatsfeind, einen antipolnischen Rassisten oder als einen Gegner der polnischen Unabhängigkeit zu brandmarken.

 

Ich kann dazu noch mehr sagen, da ich vor kurzem eine Arbeit über Polen in dieser Zeitperiode schrieb und mich mit dieser Frage noch davor beschäftigte. Die polnische Vorkriegsregierung flüchtete aus dem Land nach seiner Niederlage im Krieg gegen die Hitler-Deutschland, fand Zuflucht in Rumänien, und ließ somit Polen nach der deutschen Invasion schutzlos und ohne jegliche legitime Vertretung, sodass Hitler tatsächlich keinen Vertreter vorfand, mit dem er verhandeln hätte können. Das Land blieb schutzlos gegen die deutsche Invasion. Die UdSSR war somit gezwungen, einzumarschieren, um die deutsche Armee von sowjetischen Grenzen fernzuhalten.

 

Sowohl in den offiziellen polnischen als auch in den akademischen Kreisen ist anerkannt, dass diese polnische Vorkriegsregierung heldenhaft gegen die Deutschen gekämpft hätte und dass die Sowjetunion ihr in den Rücken gefallen wäre. Die Position der Nationalisten bzw. der Ultrarechten ist im Moment solche, dass die Sowjetunion zusammen mit Nazis Polen besetzt hätte und den offiziellen Abzug der deutschen Truppen aus Brest geben sie für eine gemeinsame sowjetisch-deutsche Parade aus. All diese Lügenmärchen, die die angebliche Würde der polnischen Vorkriegsregierung rühmen, werden als letzte Wahrheit ausgegeben.

 

Die polnische Vorkriegsregierung hatte alle Merkmale der faschistischen Regierung: Rassismus, offene Unterdrückung der Arbeiterbewegung, Diskriminierung der Juden und der Bürger auf den ukrainischen und weißrussischen Territorien.

 

Offizielle polnische Kreise streben danach, Westukraine und das westliche Weißrussland als unbestreitbare Teile Polens zu präsentieren. Es wird allerdings verschwiegen, dass diese Territorien im Rahmen der imperialistischen Aggression durch Polen besetzt geworden sind,  dann vom Sowjetischen Russland abgetrennt und gemäß dem Riga-Friedensvertrag von 1921 an Polen übergeben worden sind. Das Ganze wurde aber von den führenden imperialistischen Staaten, insbesondere Frankreich, unterstützt. Kaum neue Territorien in Besitz genommen, stürzte sich die polnische Regierung mit den Repressionsmaßnahmen auf die Westukrainer, westliche Weißrussen und Juden. Heute wird dieses Thema kaum erwähnt: Die Probleme sind begraben, der polnische Imperialismus ist in Vergessenheit geraten. Dafür ist es sehr bequem geworden, die Sowjets an der Aneignung polnischer Territorien und an allen anderen Sünden zu beschuldigen.

 

In heutigem Ungarn, in dem der Anteil der jüdischen Bevölkerung relativ klein ist, sind die zwei größten politischen Parteien offensichtlich antisemitisch, genauso gestimmt waren sie auch vor und während des Krieges. Die Verherrlichung der Horthy Regierung, des ersten faschistischen Regimes nach dem Ersten Weltkrieg, die Verurteilung der kommunistischen Zeit dienen dazu, den Anstieg der Arbeitslosigkeit, den Abfall des Lebensstandards und der Lebenserwartung sowie die Abschaffung der Sozialleistungen, verstärkte Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung zu verstecken, für welche die Ruinierung der ungarischen, aber auch polnischen und ukrainischen Wirtschaft verantwortlich sind. Somit wird der nationalistische Mythos über die glorreiche Vergangenheit in die Welt gesetzt, was die Aktivitätssteigerung der neonazistischen Bewegungen in diesen Staaten fördert.

 

 

3.Die Juden sind eines der Völker, welches unter Nationalsozialismusam meisten betroffen war, im wortwörtlichen Sinne. Wie kann man aber die Tatsache erklären, dass die jüdischen Organisationen in Europa und in Russland auf den starken Aufstieg des neuen, globalen Faschismus in Europa, wie z.B. in den baltischen Ländern, entweder gar nicht, oder sehr flau reagieren? Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

 

Wohin sind passionierte und gnadenlose Nazijäger der 50er-60er Jahre verschwunden? Was machen ihre Nachfolger? Warum erzählt das Simon Wiesenthal Center und ähnliche Organisationen der ganzen Welt das Problem des auflebenden Nazismus nicht, warum schlagen sie keinen Alarm wegen der jährlichen Märschen von SS-Veteranen und ihren jungen Verehrern in den baltischen Ländern? Warum organisieren sie stattdessen Präsentationen solcher Bücher, wie z.B. jene von Timothy Snyder? Womit sind die Menschenrechtler dann beschäftigt?

 

 

Wenn Sie mich über die Stellung der jüdischen Organisationen im Widerstand gegen den wiederkehrenden Faschismus in Osteuropa fragen, dann würde ich sagen, dass dieses Thema sehr komplex ist. Einerseits unterstützen jene jüdischen historischen Forschungsinstitute, die ich einigermaßen kenne, die Wahrheit, dass die Sowjetische Rote Armee die osteuropäischen Juden, welche auf ein qualvolles Tod durch die Nazis und ihren Verehrern verurteilt wurden, befreit hat. Sie verurteilen auch die Gleichstellung von Stalin und Hitler sowie die Gleichstellung von Sowjetunion und Nazi-Deutschland.

 

Anderseits positionieren sich die rechtsradikalen osteuropäischen Regierungen als pro-israelisch, um Anschuldigungen an Antisemitismus nicht zuzulassen oder zumindest es zu versuchen, ihren politischen Ruf zu stärken. Somit positionieren sich diese Regierungen als stark pro-israelisch und stellen damit die jüdischen Organisationen, die nazistische Gräueltaten der Kollaborateure während des Zweiten Weltkrieges verurteilen sowie die Regierungen, welche diese Einstellung teilen, in eine extrem schwere Lage.

 

Diese pro-israelische Haltung moderner rechtsradikaler Regimes schränkt die Kritik der jüdischen Organisationen im Wesentlichen ein. So sieht es aus meiner Sicht in Polen und in der Ukraine aus, wo ich mit der Situation etwas vertrauter bin.

 

Die osteuropäischen Staaten blicken auf die Vorgänger ihrer antikommunistischen Bewegungen zurück. Diese Vorgänger arbeiteten zum größten Teil mit Nazis zusammen und verübten mit denen Massenvernichtungen nicht nur der Juden, sondern auch der Kommunisten und Slaven, also generell aller, die den Nazis nicht gefallen haben. Gerade diese nationalistischen Organisationen verehrten und glorifizierten die Veteranen jener Einheiten, die auf Seite der Nazis gekämpft haben. Diese Menschen sind jetzt sehr alt, aber es gibt von denen noch recht viele. Somit lobpreisen einerseits die jetzigen neo-faschistischen Bewegungen und die Regierungen der osteuropäischen Staaten Israel und verurteilen rituell Holocaust, zugleich glorifizieren und verehren sie andererseits die Nazis, die an dem Holocaust beteiligt waren.

 

Das ist ein bemerkenswerter Widerspruch, so läuft es aber im Moment ab. Alle (und mit „allen“ meine ich auch einige jüdische antinazistische Forschungsgruppen) sind sich in ihren Attacken gegen die Sowjetunion einig. Ich glaube, dass einige Forscher aus jüdischen Organisationen sich solchermaßen verhalten, weil sie sich mehr mit der Holocaustgeschichte als mit der Geschichte der Sowjetunion beschäftigen. Das letze gehört einfach nicht zu ihrem Interessenskreis. Somit stößt es auf keinen Widerstand und es führt zu keiner Gegenargumentation, wenn andere Sowjetunion kritisieren und verurteilen, außer es geht um die Gleichstellung von Sowjetunion und Hitler.

 

In der Regel rechtfertigen aber die jetzigen dem rechten Flügel angehörigen Gruppen die Kollaboration ihrer Vorgänger  (also eine Kooperation der nationalistischen Bewegungen mit Nazis) indem sie die Sowjets beschuldigen. In der Tat betrachten sie gleichzeitig diese pro-nazistischen Bewegungen als antiimperialistische Freiheitsbewegungen, die für die Unabhängigkeit der Ukraine und den baltischen Staaten gekämpft haben. So ist das, was gerade passiert.

 

Diese verwickelte, komplizierte Situation ist natürlich interessant, die Aktivität der Nazi-Jäger ist aber nicht besonders hoch, worum einige jüdische Organisationen besorgt sind. Ich hatte früher Kontant zu einigen Vertretern solcher Forschungsgruppen, zum heutigen Zeitpunkt ist ihre Aktivität allerdings so gut wie eingestellt.

 

Bei diesem Problem gibt es auch eine andere Seite. So ein Land, wie zum Beispiel Polen, zeichnet sich durch eine bestimmte Kontinuität zwischen der Politik der Vorkriegsregierung und der Nazi-Politik aus. Da die Nazis Polen als politisches Subjekt zunichte gemacht hatten, gab es sowohl Unvereinbarkeiten, aber auch eine bestimmte Erbfolge. Ein Teil dieser Erbfolge war der Antisemitismus in Polen und ein anderer großer Teil dieser Erbfolge war der Antikommunismus, das war ein Bindeglied mit Nazideutschland. Somit hat dieses Problem verschiedene Aspekte und die Tätigkeit der Nazis in Polen, ihre Gräueltaten, dürfen nicht zu stark verurteilt werden, weil die unabhängige polnische Regierung vor dem Krieg genau das gleiche gemacht hatte, obwohl die moderne polnische Regierung das gerne als Beispiel des nationalorientierten Staates präsentiert hätte.

 

Diese ziemlich komplexe Situation läuft aber letztendlich darauf hinaus, dass die Rolle der Kollaborateure untertrieben wird, da es mehrere Nationalhelden dieser Länder gibt, die ganz offen mit Okkupanten kooperiert hatten. Gleichzeitig rückt der eifrige Antikommunismus in den Vordergrund, er richtet sich gegen die Sowjetunion auf und es wird versucht, die Sowjets an allem zu beschuldigen. Diese Beschuldigungen dienen oder sollten zumindest als Freispruch für Nationalisten dienen und sollten einen triftigen Grund für Nazi-Kooperation der dem rechten Flügel angehörigen Bewegungen während des Zweiten Weltkrieges darstellen. Und das ist eine sehr gefährliche Tendenz, die sich in Osteuropa im Moment sehr stark entwickelt.

 

 

 

Teil 2 – Nationalsozialismus und Kommunismus

 

1. Gibt es eine wissenschaftliche Grundlage für den Vergleich des Kommunismus und Nationalsozialismus? Könnten Sie auf die grundlegenden Unterschiede zwischen ihnen hinweisen?

 

2. Faschismus und Nationalsozialismus – ist eine rassistische Ideologie bei welcher es sich in erster Linie über die Überlegenheit einer Rasse der anderen liegt. Währenddessen ist Internationalismus einer der Grundsätze des Kommunismus. Warum gehört es in den letzten 20-25 Jahren fast zum guten Ton, Kommunismus und Nationalsozialismus gleichzusetzen, noch dazu mit klarer Tendenz das letzte zu bevorzugen und zu rehabilitieren?

 

Wieso wurde etwas annehmbar, ja sogar legitim, was sich nicht nur Historiker sondern auch andere gebildete Menschen im Westen auch inmitten des Kalten Krieges nicht zugetraut hätten, nämlich die Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus?

 

Zählte es nicht etwa noch vor 20-30 Jahren in professioneller Umgebung der Historiker und Gesellschaftswissenschaftler zu einer Bildungslücke, ja sogar zu den Wahnvorstellungen, diese zwei völlig gegensätzlichen Ideologien (Faschismus und Kommunismus) gleichzustellen?

 

 

Sie fragen mich über den Vergleich oder Gegenüberstellung von Kommunismus und Nationalsozialismus, über welche heute viel gesprochen wird. Ich will Ihnen folgendes sagen. Grundsätzlich halte ich Kommunismus und Nationalsozialismus für vollkommene Gegensätze. An sich wuchs die kommunistische Bewegung aus der Arbeiterklasse, aus den Armen und Bauern. Nationalsozialismus ist die Bewegung der mächtigsten und reichsten bürgerlichen Schichten, jener Schichten, welche über politische und andere Organisationen die Unterstützung der Mittelschicht der Bevölkerung und sogar der Arbeiterklasse gewinnen konnten.

 

Natürlich war die kommunistische Bewegung in der Sowjetunion die dominierende Kraft im Sieg über den Nationalsozialismus und wurde dann zur populärsten in der ganzen Welt, vor allem in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

So eine Kräftekonstellation stellte für die westlichen Alliierten, die den kapitalistischen Ländern angehörten, ein Problem dar. In dieser Hinsicht waren ideologische Positionen und Aussagen, die den Nationalsozialismus und Kommunismus gleichsetzen, sehr willkommen. Ich glaube, dass diese Tendenzen sich steigerten und auch im Laufe der Zeit intensivierten. Wie ich schon gesagt habe, lässt so eine Einstellung die Klassenunterschiede und die Ausbeutung außer Acht. Derzeit ist das besonders wichtig, da die Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Nationalsozialismus, Stalin mit Hitler, Sowjetunion mit Nazi-Deutschland den nationalistischen Kräften in Osteuropa und anderen Teilen der Welt erlaubt, alle Errungenschaften der kommunistischen Bewegung in der Welt, insbesondere in der Sowjetunion,  zu diskreditieren und die Tätigkeiten jener, die Nazis unterstützten bis zu einem gewissen Grad zu rechtfertigen.

 

Deshalb noch einmal, um die Frage über die wissenschaftlichen Begründungen der Gleichsetzung des Nationalsozialismus und Kommunismus zu beantworten, werde ich sagen, dass es keine solchen Begründungen gibt. So ein Konzept spielt jedoch klarerweise eine wichtige Rolle beim Versuch, die steigenden Tendenzen von Rassismus und Nationalismus zu bestärken, was wir heute nicht nur in Osteuropa, sondern auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern wie den Vereinigten Staaten beobachten. Westeuropa erleidet derzeit eine besondere Form der Krise, deswegen entwickeln sich in diesen Ländern eigene neofaschistische, neonazistische Bewegungen.

***

 

 

3. Was halten Sie von dem Film «The Soviet Story». Was für eine Reaktion gab es darauf in der Gesellschaft?

 

4. Wie denken Sie, warum wurde der Film „The Soviet Story“ in der zweiten Hälfte des Jahres 2011 in 30 Sprachen übersetzt, warum erhielt er eine starke Werbung und wurde aktiv in den Mediengebrauch eingeführt?

 

5. Was halten Sie von den Aussagen der Autoren des Films "The Soviet Story", die Sowjetunion als einen Komplizen im Holocaust beschuldigen, z.B. ihr den gemeinsamen Kampf des NKWD mit der Gestapo gegen die "jüdische Gefahr" inkriminieren. Wie ist Ihre Stellungnahme dazu, dass diese Fragen angeblich beim Treffen des NKWD und der Gestapo im Jahre 1940 besprochen worden wären?

 

 

Ich habe den Film "The Soviet Story" gesehen, aber nicht im Kino sondern im Internet als er herauskam, und war sofort von seiner Ähnlichkeit im weiten Sinne mit dem "Schwarzbuch des Kommunismus" überrascht, das vor 15 Jahren veröffentlicht wurde. Eine unverdauliche und stark dokumentierte Sammlung von Horrorgeschichten, für die angeblich Kommunisten und insbesondere die Sowjetunion verantwortlich sind, vor allem in der Stalinzeit, aber nicht nur in dieser Zeit.

 

„The Soviet Story" ist eine ähnliche Sache, wenn auch nicht für ein akademisches Publikum gedacht. Dies ist ein Versuch, eine Reihe historischer Fiktionen und antikommunistischer Erdichtungen als historische Tatsachen darzustellen, was gerade, sogar sehr oft in der Geschichtswissenschaft passiert. Das wird so gemacht: An die Vorderfront werden einige diplomierte oder "legalisierte" Experten geschoben, die in der Tat antikommunistische Ideologen und Historiker sind, sie werden interviewt und dann werden ihre Aussagen als Beweis für falsche Behauptungen im Film verwendet. Es gab mehrere Versuche, den Film anzufechten. Alexander Djukow schrieb zum Film eine gute kurze Kritik, die in mehreren Sprachen verfügbar ist.

 

Ich weiß nichts über die Verbreitung von diesem Film, und deswegen kann ich seine Wirkung nicht beurteilen, aber natürlich wird er einen erheblichen Einfluss auf die Mehrheit der Menschen haben, die nichts davon wissen, und dementsprechend nicht die geringste Vorstellung davon haben, wie das alles zu widerlegen ist. Das spielt in die Hände nicht nur den neofaschistischen und rechtsextremen Organisationen, sondern entspricht auch der ideologischen Voreingenommenheit der Geschichte, die in jedem kapitalistischen Land unterrichtet wird, zum Beispiel bei uns in den Vereinigten Staaten.

 

Die Autoren des Filmes gehen nicht so weit, dass sie eine offene Rechtfertigung oder Haftungsbefreiung jener Kräfte, die auf der Seite von Nazis standen, anstreben. Aber natürlich ist das ein pro-nazistischer Film. Das ist eine Art der Propaganda, die eine breite, wenn auch etwas oberflächliche Auswirkung auf eine große Anzahl der Menschen haben kann, und ich denke, dass er auch für diesen Zweck vorgesehen wurde. Der Film wurde durch die gleichen Kräfte ins Leben gerufen, die das "Denkmal für die Opfer des Kommunismus" in Washington errichtet haben. Historisch waren diese Kräfte direkt in Kollaboration mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg beteiligt, so dass ich denke, es sinnvoll wäre, die wahren Quellen des Films und seine falschen Angaben zu offenbaren, das heißt, ihn als ein Werk rechtsextremer antikommunistischer Propaganda anzusehen. Es ist jedoch offensichtlich, dass es nicht so von den Autoren vorgesehen wurde. Es war geplant, ihn als eine Reihe allgemeingültiger, etablierter historischer Fakten darzustellen. Stattdessen ist es eine schrille rechtsextreme, antikommunistische und in der Tat, krypto-faschistische Propaganda geworden.

 

In seinem Hauptwerk «Mein Kampf», schreibt Hitler interessante Sachen über die Propaganda. Im Wesentlichen argumentiert er, dass man Ergebnisse mit Hilfe großer Lügen erreichten kann. Wenn man die gleichen Aussagen immer und immer wieder an die gleiche Zielgruppe auf unterschiedliche Weise wiederholt, werden sie nach einer gewissen Zeit als Tatsachen wahrgenommen. Und ich denke, es ist wichtig in allen kapitalistischen Ländern eine Denkweise aufzuzwingen, dass alle Versuche der Ausbeutung durch Organisation der Menschenmassen und (wenn nötig, auch mit Gewalt) zu widerstehen, direkt zu einer Art schrecklichen Gesellschaft führen, solcher wie Nazi-Deutschland oder zu so einer Form wie sie Sowjetunion darstellen.

 

Deswegen muss man jede Gelegenheit nutzen, um den Kommunismus, und insbesondere die Sowjetunion, anzuschwärzen. Dies mit dem Ziel jene, die den herrschenden Status quo infrage stellen, welcher wie wir alle sehen können, mehr und mehr ausbeuterisch geworden ist und immer mehr Leid nicht nur in Osteuropa, sondern auch weltweit zufügt, also gerade diejenigen im Vorhinein für außergesetzlich zu erklären.

 

Ich denke es ist genau das, was heute die Bedeutung und den politischen Einfluss der antikommunistischen Propaganda bestimmt. Während die Geschichte der kommunistischen Bewegung und die sowjetische Zeit immer ferner und ferner in der Vergangenheit liegen, und man dementsprechend auch immer weniger von ihnen hören sollte, hören wir über jedoch sie umso mehr, denn – je repressiver und ausbeuterischer der Kapitalismus wird, desto eher wird es wichtig, die Geschichte der Sowjetunion und die  Geschichte der kommunistischen Bewegung anzugreifen.

 

Das Argument, dass Sowjetunion Nazi-Deutschland geholfen habe den Holocaust zu begehen, hält keiner Kritik stand. Wenn wir über das Buch «The Bloodlands» von Professor Timothy Snyder besprechen, werden wir dieses Thema vielleicht entwickeln. Das ist gerade der Fall, wenn es versucht wird, die Sowjets in irgendeiner Form an der Zusammenarbeit mit Nazis zu beschuldigen. Und das ist natürlich auch eines der Themen dieses Films.

 

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Im Jahr 2010 erschien das Buch von Timothy Snyder, einem Geschichtswissenschaftler der Universität Yale, “Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin”. Diesem Buch wurde sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es bekam viele Auszeichnungen, wobei man noch genau überprüfen sollte, welche Hintergründe sie alle haben. Das Buch wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt, wobei es sehr interessant ist, dass es bis heute (zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich es letztes Mal überprüft habe) nicht in die russische Sprache übersetzt wurde. Aber wohl in alle anderen Sprachen des postsowjetischen Raumes. Das Buch stellt einen Versuch dar, die Sowjetunion auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus zu stellen, oder vielleicht, sie als lediglich etwas kleineres Übel, als Nazismus darzustellen.

 

In Wirklichkeit wird in diesem Buch dem Antikommunismus und den antisowjetischen Äußerungen viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als dem Nazismus. Letzten Endes sind die nationalsozialistischen Verbrechen auch so gut bekannt, es gibt genug andere Bücher darüber. Ich denke, die innovative Methode dieses Buches besteht darin, ein neues Paradigma bzw. ein neues Modell zu schaffen, mit dessen Hilfe man Sowjetunion mit Nazismus vergleicht oder sogar sie gleichzusetzten versucht. Momentan arbeite ich an einer detaillierten und etwas längeren Rezension und Widerlegung dieses Buches.

 

Dieses Buch stützt sich auf eine kleine Menge von grundsätzlich falschen Ansichten. Außerdem gibt es dort natürlich viele einzelne lügenhafte Aussagen. Es gibt auch einige wahre Feststellungen, vor allem über Nazis. Das erste, grundsätzlich falsche Postulat des Buches ist die Behauptung über den sogenannten „Holodomor“, als über eine absichtlich organisierte Hungersnot. Diese Schilderung über „Holodomor“ setzt sich aus einer ganzen Reihe von falschen Aussagen zusammen. Erstens wird die Hungersnot der Jahre 1932-1933 als unnatürlich bezeichnet, es wird behauptet, sie sei durch die Kollektivierung hervorgerufen worden. Diese Aussage an sich ist schon falsch. Die Kollektivierung hat damit nichts zu tun. Das war eine von vielen Hungersnöten, die im letzten Jahrtausend regelmäßig auf dem Gebiet des ehemaligen Russischen Imperiums, welches dann zur Sowjetunion wurde, ausbrachen.

 

Die Kollektivierung war ein Teil des Versuches, diese endlosen Zyklen von Hungersnöten durchzubrechen, indem man die Führungsweise der Landwirtschaftliche veränderte. Diese Hungersnot wurde durch Naturkatastrophen und nicht durch die Kollektivierung hervorgerufen. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, diese Hungersnot wäre durch Kollektivierung hervorgerufen, es sei aber keine Absicht gewesen. Snyder sagt hingegen, dass die Hungersnot nicht nur durch Kollektivierung hervorgerufen wurde, sie sei sogar vorsätzlich organisiert worden, um die nationalistische Bewegung unter den ukrainischen Bauern zu unterdrücken. Das ist eine reine Lüge: Für solche eine Behauptung gibt es keinerlei Beweise.

 

Die Geschichte von „Holodomor“ beziehungsweise der Hungersnot der Jahre 1932-1933, die von Snyder geschildert wird, basiert gänzlich auf den Arbeiten ukrainischer Nationalisten und einiger polnischer historischer Arbeiten, die wiederum die Arbeiten der ukrainischen Nationalisten zusammenfassen. Snyder ignoriert bewusst die prominenten Wissenschaftler auf diesem Gebiet, die nicht zu den ukrainischen Nationalisten gehören.

 

Warum hat er das gemacht? Nun, wenn Sie es vorhaben, die Anzahl der Toten zu zählen, so wurden von den Nazis wahrscheinlich 12 oder 14 Millionen Menschen ermordet. Um dann zu behaupten, dass die Sowjets auch Millionen Menschen umgebracht hatten, muss man diese Millionen angeblich von den Sowjets Ermordeten ja irgendwo finden. Es gibt nicht so viele Möglichkeiten das zu finden, und die Hungersnot von 1932-1933 ist eine davon.

 

Also um die Sowjetunion dementsprechend an Massenmorden, die in ihrem Ausmaß mit den Massenmorden der Nazis vergleichbar wären, zu beschuldigen, muss man alle durch die Hungersnot von 1932-1932 Verstorbenen zu den Opfern der sowjetischen grausamen Politik machen. Demnach wird es möglich, die Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland gleichzusetzten, was Snyder auch macht.

 

So ein Ansatz ist grundsätzlich falsch und wird von den renommiertesten Wissenschaftlern nicht unterstützt. Ich spreche hier nicht von den linken oder prosowjetischen Wissenschaftlern, sondern von der Mehrheit der westlichen sowie russischen Wissenschaftlern; es ist heutzutage ein Teil der modernen ukrainischen Mythologie, dass Stalin und die Kommunisten sich gezwungen gesehen hätten, Ukraine verhungern zu lassen, um dort Ordnung zu schaffen, weil die ukrainische nationale Bewegung so stark und so gefährlich gewesen wäre. Das ist alles völliger Unsinn. Übrigens, weist das Buch von Snyder keinerlei belegbare Beweise, die die Behauptung, dass die Hungersnot in der Ukraine geplant wäre, bestätigen würden. Und niemand hat bis heute Beweise solcher Art finden können, weil solche Beweise ganz einfach nicht existieren. „Holodomor“ ist also eines der Grundsteine, auf dem die Arbeit von Snyder basiert.

 

Der andere Grundstein ist das Massaker von Katyn. Ich habe Katyn bereits erwähnt. Im Moment wird eine seriöse und sehr interessante Debatte geführt, wer denn diese Polen ermordet hat. Es gibt viele Beweise dafür, dass einige von denen von den Sowjets ermordet wurden, allerdings gibt es auch viele Beweise dafür, dass die Deutschen ebenfalls viele von denen umgebracht haben. Der Standpunkt, dass alle Polen von den Sowjets ermordet wurde basiert auf den Beweisen, dessen Wahrheitsgehalt starke Zweifel hervorruft, besonders im Hinblick auf die letzten Forschungen. Wir haben Katyn nur als Beispiel genommen. Dieses Beispiel hilft aber einem nicht dabei, die angeblichen Millionen von Opfern der Sowjetunion zu finden. In Katyn sind höchstens 25 000 Menschen ums Leben gekommen. Wenn wir sogar annehmen, dass die Sowjets sie alle ermordet hätten, dann kommt man trotzdem nicht auf die gewünschten Millionen von Opfern. 

 

Noch einer der Grundsteine der Arbeit von Snyder ist der so genannte „Großer Terror“. Antikommunistische Wissenschaftler haben diese Zeit „der große Terror“ genannt, diese Bezeichnung hat sich etabliert, obwohl das in der Sowjetunion traditionell als „Jeschowschtschina“, bezeichnet wurde, was so viel, wie „die schlimmen Zeiten von Jeschow“ heißt. Meiner Meinung nach ist „Jeschowschtschina“ eine passendere Bezeichnung, denn jetzt haben wir viele Zeugnisse aus der damaligen Zeit und jetzt ist es klar geworden, dass es der Leiter von NKWD, Nikolaj Jeschow, war, der vom Ende 1936 bis Ende 1938 vorsätzlich Massenhinrichtungen von Unschuldigen organisiert hat, um Unruhen zu stiften und eine Diskreditierung der Sowjetischen Regierung zu fördern. Er selbst hatte ein Komplott entweder mit Deutschland oder mit Deutschland und Japan zusammen und bereitete eine Machtergreifung vor. Seine Übeltaten wurden mit der Zeit aufgedeckt und er musste Ende 1938 seinen Posten verlassen. Noch mehr Fakten über seine unbegrenzte Willkür wurden nach und nach von Lawrentij Beria aufgedeckt, denn er wurde von Politbüro und Stalin zum Leiter von NKWD ernannt und leitete das Innenministerium der UdSSR nach Jeschow.

 

Im April 1939 wurden Jeschow und seine nächsten Komplizen verhaftet und sie gaben dann sehr interessante Beweisaussagen. Diese Aussagen zeigten zusammen mit vielen Zeugnissen aus anderen Quellen – Aussagen der Offiziere des NKWD (Innenministeriums) der UdSSR, der Amtsangestellten und einfacher Bürger – ganz klar, dass Jeschow diese Massenwillkür wegen seiner eigennützigen Interessen ins Leben rief.

 

Übrigens, es gibt einige interessante Indizien dafür, dass die Angeklagten des dritten Moskauer Prozesses, nämlich Bucharin und Rykow, im März 1938 davon gewusst haben. Ich thematisiere das mit meinem Kollegen, Wladimir Bobrow, in einem unserer letzten Bücher. Es schien so zu sein, dass Bucharin den Verdacht hatte, was genau Jeschow in dieser Richtung unternommen hatte oder zumindest genau wusste, dass Jeschow eine Verschwörung plane, erzählte aber davon nichts vor Gericht.

 

Hätte Bucharin das gemacht, könnte man Jeschow schon viel früher stoppen. Es ist ganz klar, dass Stalin und Politbüro in dieser Geschichte Jeschow eine Zeit lang Vertrauen schenkten und es tatsächlich dachten, dass er einen Kampf mit den Todfeinden der sowjetischen Regierung führte, also mit Verschwörern, die einen Aufstand vorbereiten, mit Anführern der Opposition, mit Spionen, die auf Deutschland oder Japan arbeiteten.

 

Wir können es feststellen, weil wir uns auf die Dokumente stützen, die von der Organisation „Memorial“ veröffentlicht wurden. „Memorial“ ist eine stark antikommunistische Organisation, die einen guten Draht zu Russlands Regierung, einen guten Zugang zu den Archiven und ein Recht auf Veröffentlichung seltener Archivdokumente hat. Im Jahre 2011 hat „Memorial“ ein Buch vom Herausgeber Chaustov veröffentlicht – eine Sammlung von Dokumenten, in welchem es klar gemacht wird, dass Politbüro und Stalin den Berichten von Jeschow vertraut haben. In den Jahren 1938-1939 wurden tatsächlich 600.000 sowjetischer Bürger hingerichtet, es heißt aber nicht, dass Stalin und seine Mannschaft das mit Absicht gemacht haben. In Wirklichkeit wurde es zum größten Teil hinter dem Rücken der sowjetischen Führungskräfte gemacht, Snyder postuliert es aber natürlich, dass an der ganzen Sache Stalin schuld ist. Somit ist „Jeschowschina“ oder der „Große Terror“ noch ein Standbein seines Werkes.

 

Da der Autor noch ein paar Millionen Opfer der Sowjetunion zuschreiben muss, um sie einigermaßen mit den Nazis gleichstellen zu können, benutzt der Autor viele unbegründete, durch nichts bestätigte Behauptungen. Beispielsweise wird es den Sowjets unterstellt, dass sie viele Bürger hingerichtet hätten, die in der Zusammenarbeit mit Nazis verdächtigt wurden, dass die Sowjetunion den Warschauer Aufstand gegen Nazis ausgelöst hätte, ihn aber dann nicht unterstützen könnte. Und solcher kleinen Falsifikationen gibt es noch viel mehr.

 

Trotz aller Bemühungen gelang es Snyder nicht, die Anzahl der Opfer in der Sowjetunion in solcher Anzahl zu finden, dass sie mit der Anzahl der Opfer im nationalsozialistischen Deutschland vergleichbar wären und er gibt es in seinem Buch zu, dass Nazis und Hitler vielmehr hingerichtet hatten, als Stalin. Die Beschuldigungen, dass Stalin einige Millionen Menschen ermordet hätte, bleiben dennoch absolut ungerecht. Den Geschichtswissenschaftlern, sogar denen, die sich auf die Geschichte der Sowjetunion spezialisieren, aber auch denjenigen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg und der Vorkriegszeit beschäftigen, ist die tatsächliche Sachlage nicht sehr gut bekannt. Die Sachlage ist den Historikern deswegen nicht sehr gut bekannt, weil die meisten keine Spezialisten in der Geschichte der Sowjetunion sind. Aber selbst für diejenigen, die sich darauf spezialisieren, ist es notwendig, dauernd alle Publikationen zu diesem Thema aus den ehemaligen sowjetischen Archiven zu überwachen, um solche Lügen wie Snyders Buch widerlegen zu können. Leider hat nicht jeder die Möglichkeit dazu.

 

Und viele von denen, die sich mit den Veröffentlichungen aus den Archiven auseinandersetzten, sind antikommunistisch gestimmt und zeigen deswegen keinen Wunsch, diese falschen Behauptungen zu revidieren, die sie wahrscheinlich … für nicht sehr wichtig halten. Außerdem wollen sie ja nicht, dass sie jemand für Verfechter von Stalin hätte halten können.

 

Im April 2012 hielt Snyder hier in der Kean-Universität in New Jersey eine Vorlesung. Ich bereitete Flyer mit einigen Informationen vor, verteilte sie unter den Zuschauern und versuchte, einige Fragen hierzu aufzuwerfen.

 

Er konnte solche Behauptungen aufstellen, ohne auf Kritik zu stoßen, einfach weil, wie ich bereits gesagt habe, viel zu wenig Menschen sich mit diesen Unterlagen auseinandergesetzt haben. Eine andere von ihm benutzte Taktik besteht darin (davon  habe ich wahrscheinlich auch gesprochen), sich bei der Diskussion über die sowjetische Geschichte den Arbeiten ukrainischer und polnischer Historiker zu bedienen – das ist aber absolut sinnlos!

 

Wenn man sich tatsächlich für die sowjetische Geschichte interessiert, muss man zu allererst auf die primären sowjetischen Quellen in russischer Sprache zurückgreifen und erst danach auf die Arbeiten der Autoren, die in anderen Sprachen schreiben. Allerdings sind Polnisch und Ukrainisch jene Sprachen, in denen Snyder lesen kann. Besonders gut liest er in Polnisch. Es gibt sehr wenig Menschen, die einerseits keine Spezialisten auf diesem Gebiet sind und andererseits in diesen Sprachen lesen können. Demzufolge ist es für einen Nicht-spezialisten sehr schwierig, seine Angaben zu den Fakten zu überprüfen, die Fußnoten zu kontrollieren und zu verstehen, ob diese tatsächlich für seine Behauptungen sprechen.

 

Und ich bin gerade derjenige, der dieser Beschäftigung sehr viel Zeit widmet. Russisch kann ich natürlich sehr gut. Ukrainisch und polnisch kann ich etwas schlechter. Immerhin kann ich aber in diesen Sprachen lesen und es ist für mich augenscheinlich, dass er sich normalerweise gar keine Mühe gibt, Beweise heranzuführen. Was er macht, ist, ein anderes Buch zu zitieren, in dem die eine oder andere antikommunistische Behauptung gemacht wird, als ob es ein Beweis wäre, als ob das zitieren von sekundären Quellen oder etwas anderem aus der Presse seine Behauptungen zur Tatsache mache. Natürlich macht es seine Behauptungen nicht zum Faktum.

 

Um eine Behauptung zu beweisen, muss man Evidenz liefern. Das bedeutet, man braucht Primärquellen. Snyder jedoch benutzt praktisch niemals Primärquellen. Und dennoch, wegen der Gründe, die ich bereits genannt habe – weil die sowjetische Geschichte schlecht bekannt ist, weil nur Wenige die Dokumente der sowjetischen Archive benutzt, und weil viele fürchten, dass man sie als Stalin Anhänger bezeichnet – wurden nur die wenigsten Aussagen von Snyder in diesem Buch seriöser Kritik unterzogen. Die Ausnahmen sind die Vorfälle, wo Snyder das sowjetische und nazistische Verhältnis zu den Juden vergleicht. Es fanden sich Experten zum Holocaust, und Experten zum 2. Weltkrieg, die gesagt haben: „Das ist falsch, so etwas darf man nicht machen“. Beim ganzen Rest bekam das Buch sehr gute Rezensionen.

 

Ein anderes Problem besteht darin, dass die Zensoren, die die Bücher für die wissenschaftlichen Zeitschriften begutachten, sehr selten Spezialisten auf den Gebieten sind, mit denen sich die Bücher befassen. Das Buch von Snyder wurde von mehreren westlichen wissenschaftlichen Zeitschriften rezensiert, allerdings gab es unter den Zensoren fast keinen, der tatsächlich beurteilen konnte, inwieweit Snyders Aussagen zutreffen. Somit sind diese Rezensionen keine Rezensionen, sondern kurze, zum größten Teil sehr wohlwollende Inhaltsangaben von dem, was Snyder sagt. Anders gesagt, die Zensoren haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob Snyder die Wahrheit sagt oder lügt.

 

Und das letzte über Snyder, obwohl ich mich nicht viel zu lange mit ihm beschäftigen möchte. Snyder behauptet, dass die Sowjetunion im Jahre 1939 ein „militärischer Verbündeter“ (er nutzt den Begriff “Militärbündnis”) des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen sei und “sich an der gemeinsamen Intervention in Polen beteiligte” – genau so sagt er das.

 

Das ist gänzlich falsch. Die Sowjetunion war in keinem Militärbündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Der so genannte Ribbentrop-Molotow-Pakt, den die Antikommunisten gern als Hitler-Stalin Pakt bezeichnen, war ein Nichtangriffspakt, der geheime Klausel über die Einflussgebiete in den baltischen Staaten, insbesondere in Polen, beinhaltete. In diesen Klauseln wurde vereinbart, dass die 1920 von Polen (ehemalige Sowjetrusslandgebiete – AdÜ) eroberten Gebiete – Westukraine und westliches Weißrussland – sich im Einflussbereich der Sowjetunion befinden. Somit war das kein Versuch, Westukraine und den westlichen Teil von Weißrussland zu erobern. Das war ein Bestreben, die deutschen Armeen im Jahre 1939 weit entfernt von den sowjetischen Grenzen zu halten.

 

Mit anderen Worten, willigte die deutsche Armee für den Fall der Eroberung Polens ein, nicht näher zu den sowjetischen Grenzen heranzukommen, als es, grob gesagt, der Verlauf der Curzon-Linie erlauben würde. Das wurde auch eingehalten. Winston Churchill sagte, dass es für den Westen eine enorme Wichtigkeit hatte. Für die Alliierten war es wichtig, weil sie sich damals formal im Krieg mit dem nationalsozialistischen Deutschland befanden und es war wichtig, dass die sowjetische Armee an dieser Linie stehen blieb und die Nazis nicht an die alte sowjetische Grenze heranließ. Keiner behauptete zu dieser Zeit, in 1930er Jahren, also in den Jahren 1939-1940, dass die Sowjetunion sich im Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland befände, kein einziges Land schlug vor, Sowjetunion aus der Liga der Nationen auszuschließen, was allerdings in einigen Monaten im Zusammenhang mit dem Sowjetisch-Finnischem Krieg passierte. Alle Staaten haben die Neutralität der Sowjetunion in diesem Krieg de facto und de jura bestätigt.

 

Genauso falsch ist es, dass die Sowjetunion, die sowjetische Armee zusammen mit der deutschen Armee eine „siegreiche Militärparade“ in Brest hatten. Es handelt sich hierbei nicht um Meinungsunterschiede, das wissen wir ganz genau, weil beide beteiligte Generäle, der General Heinz Guderian aus Deutschland und der General Kriwoschein aus der UdSSR, ihre Erinnerungen über dieses Ereignis hinterließen. Es ist ganz klar, dass die deutsche Armee gezwungen war, Brest zu verlassen, weil die sowjetische Armee im Einklang mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt in ihr Einflussgebiet einmarschierte. Er behauptet aber, es sei eine „Siegesparade“ gewesen. Woher kommen dann solche Ideen? Nun, genauso, wie es im Fall der Idee über „Holodomor“ – der so genannten absichtlich organisierten Hungersnot der Jahre 1932-1933 gewesen, die Snyder nicht selbst ausgedacht hat, so hat er auch die Idee des deutsch-sowjetischen Bündnisses und der „Siegesparade“ nicht selbst erfunden. Die Geschichte von „Holodomor“ stammt aus den 1930-er Jahren von den pronazistischen ukrainischen Nationalisten. Und die heutigen ukrainischen Nationalisten unterstützen diese Idee immer noch.

 

Der Mythos über das nazistisch-sowjetische Bündnis stammt von der polnischen Regierung, die sich in der Zeit nach Polens Eroberung in Emigration befand. Diese Einstellung wird auch von der heutigen polnischen Regierung unterstützt. Das heißt, es ist also die offizielle Haltung der aktuellen polnischen Regierung, dass die Sachlage genauso war. Und das trifft natürlich nicht zu. Wie ich bereits erzählt habe, eine solche offizielle Haltung dient dazu, den Verrat seines eigenen Volkes durch die polnische Vorkriegsregierung zu vertuschen. Diese Regierung flüchtete 1939 im Zusammenhang mit der deutschen Invasion und hinterließ das Land ohne Führung und ließ somit der UdSSR tatsächlich außer Einmarschieren keine Alternative mehr.

 

Ich möchte nur etwas erwähnen, eine kleine Anmerkung machen, weil diese Tatsache nicht oft genug erwähnt wird. Gemäß dem Molotov-Ribbentrop-Pakt erstreckte sich das sowjetische Einflussgebiet westlich von der sowjetischen Grenze des Jahres 1939. Im Allgemeinen umfasste es die Westukraine und den westlichen Teil Weißrusslands. Das war aber im Pakt eine Aufteilung, die Polen als einen Staat betraf. Warum? Polen ist ein Staat. Sobald die polnische Regierung aus dem Staat flüchtete, hörte sie auf, als Regierung dieses Staates zu fungieren. Gemäß dem Völkerrecht hörte der polnische Staat auf, zu existieren, und die Tagebücher des Generals Halder, des damaligen deutschen Oberkommandeurs, zeugen klar davon, dass Hitler die Auflösung des polnischen Staates verkündete.

 

Die Deutschen fingen in Mitte September plötzlich an, über Polen als über einen ehemaligen Staat zu sprechen. Faktisch hieß es, dass der Molotov-Ribbentrop-Pakt seine Rechtskraft verlor, und wenn die Deutschen ihn für unwirksam hielten, heißt es, dass sie entweder ihre Armee an die sowjetische Grenze heranführen oder, wie es Halder erwähnt hatte, dort mithilfe der ukrainischen bzw. weißrussischen Nazis pronazistische Marionettenregierungen erschaffen konnten.

 

Somit gab es für die UdSSR keine andere Alternative, als militärisch einzumarschieren. Mehr noch, im Jahre 1950 hatte der amerikanische Experte im Bereich des Völkerrechts, George Ginsberg, der damals eine Professur in der Universität Rutgers hier in New Gersey hatte und später an die Kalifornische Universität in Los Angeles gewechselt hatte, zwei Artikel über das Handeln der UdSSR im „Journals Of International Law“ veröffentlicht und kam zum Entschluss, dass das Völkerrecht der Sowjetunion sehr schwerwiegende Gründe für solches Vorgehen gegeben hat. Und das war mitten im Kalten Krieg, als es für amerikanische Wissenschaftler aus professioneller Sicht höchst ungünstig war, zum Endschluss zu kommen, dass die UdSSR im Einklang mit dem Völkerrecht agiert hatte. Ginsberg kam allerdings zu so einer Schlussfolgerung.

 

Somit sind alle diese Quellen nicht nur Snyder sondern auch mir und allen anderen frei zugänglich. Es ist klar, dass er absichtlich alle Fakten negiert, es ist augenscheinlich, dass die Meinung, dass der Molotov-Ribbentrop-Pakt irgendeine Art Militärbündnis zwischen den Nazis und der Sowjetunion darstellte, absolut falsch ist. Sie sehen aber, wie bequem es für Antikommunisten ist, diese Meinung zu propagieren. Und nun wird diese Idee aktiv verbreitet, unter anderem auch durch Snyder. Es ist zu lang geworden, Sie können aber jetzt einen Schnitt machen.

 

***

 

 

7. Könnte man sagen, dass unsere heutige Gesellschaft durch den Antikommunismus unabdingbar zu einer neuen Art des Faschismus kommt, welcher nicht mehr nationalistisch oder nazistisch, sondern vielmehr sozial sein wird (Aufteilung der Gesellschaft in Kasten, in verschiedene Schichten ohne jegliche soziale Mobilität)? Könnte man also folgende logische Folge aufbauen: Konsumgesellschaft (die sich nicht auf die inneren menschlichen Werte stützt) -> Antikommunismus -> Faschismus?

 

8. Gibt es im internationalen rechtlichen Umfeld Instrumente, die eine derartige Verbreitung und Aufzwingen von historischen Falschmeldungen durch Massenmedien unterbinden könnte oder sind wir gegenüber einem solchen „informativen“ Terrorismus völlig ausgeliefert? Gibt es eine Möglichkeit, diese „Propaganda-Terroristen“ zu einer unter Anderem strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen? Was wäre Ihr Vorschlag dazu, wie man mit dem Prozess der Geschichtsfalsifizierung kämpfen könnte, die bereits einen galoppierenden Charakter annimmt?

 

 

Nun ja, kann der Antikommunismus zur Wiederkehr des Nationalsozialismus führen? Ich denke – ja und nein. Im bestimmten Sinne war der Nazismus an sich eine Reaktion auf den Kommunismus. Alle faschistischen Bewegungen auf der Welt, eine von welchen der deutsche Nazismus war, waren eine Reaktion auf die kommunistische Welle nach der Russischen Oktober-Revolution. In Deutschland in den 20-er Jahren gab es einen Spruch (ich weiß nicht, woher es kommt, aber es war sehr populär): "Gegen Sozialisten helfen nur Faschisten" – und unter Sozialisten verstand man sowohl Sozialisten als auch Kommunisten. Für die antikommunistischen, kapitalistischen Kräfte waren Faschisten das einzige Mittel zum Aufhalten der kommunistischen Bewegung.

 

Es gab keine andere Möglichkeit dafür. Die kommunistische Bewegung basiert auf der Arbeiterklasse. Da die Arbeiterklasse sehr zahlreich ist, bedeutet jede Erhöhung ihrer Aktivität und ihres Klassenbewusstseins eine steigende Bedrohung für die etablierte Ordnung. Je höher sind die Aktivität und das Klassenverständnis der Arbeiterklasse, desto größer ist die Gefahr. Wenn man also den Nazismus im historischen Kontext betrachtet, ist er eine Reaktion auf eine starke kommunistische Bewegung. Wenn man eine starke kommunistische Bewegung ausschließt, kann man die restlichen Protestformen recht gut unter Kontrolle halten, ohne zum Faschismus direkt greifen zu müssen. Verstehen Sie?

 

Wenn man aber Nazismus weniger als historisch determiniert betrachtet, sondern einfach nur als eine Form der kapitalistischen Regierung, welche auf Gewalt, hohem Ausbeutungsgrad, starken nationalen und patriotischen Gefühlen aber auch auf gleich starken Gefühlen von Xenophobie und Rassismus, auf Unterdrückung der Arbeiterklasse, Gewerkschaften und politischen Arbeiterparteien basiert,  … wenn man Faschismus in so einem breiteren Sinne versteht, dann natürlich, ja! In Wirklichkeit können wir in heutiger Zeit eine Eskalation des Faschismus, Neo-Faschismus beobachten, obwohl es keine starken Protestbewegungen in den Arbeiterreihen und keine mächtigen kommunistischen Bewegungen gibt, stimmt‘s?

 

Im Allgemeinen finde ich, dass der Antikommunismus immer eine wichtige Ideologie für den Kapitalismus bildet. Seine Wurzeln kann man sogar seit den Zeiten der Französischen Revolution verfolgen, wo er in der Form von Anti-Jakobinismus existierte, verstehen Sie? Man könnte sagen, der Antikommunismus existierte auf gewisser Weise bereits damals, als es noch keine Kommunisten gab. Das waren jene Kräfte, die dem Kampf einfacher Menschen gegen Ausbeutung und Herrschaft der Kapitalisten entgegenwirkten. Ich finde, dass diese Komponente des Kapitalismus immer vorhanden ist, selbst wenn er sich auch nicht in die Richtung des Faschismus entwickelt. Deswegen denke ich nicht, dass es einen Weg von der konsumbesessenen Gesellschaft zum Antikommunismus, und später – zum Nazismus oder Faschismus gibt. Ich finde, dass der Antikommunismus eine konstante Dimension ist. Natürlich ändern sich seine äußeren Formen, aber er ist immer präsent.

 

Ich finde, der heutige Aufstieg des Neofaschismus oder Kryptofaschismus sowohl allgemeine, als auch spezifische Gründe hat. Einer dieser Gründe – ist die Rehabilitierung der faschistischen Kollaborateure der Vorkriegs- und der Kriegszeit. In vielen Ländern Osteuropas oder ehemaligen Republiken der Sowjetunion kamen die Nachkommen der Kollaborateure an die Macht, oder sogar einige Menschen, die selbst daran teilnahmen (die Kollaborateure persönlich). Das ist der erste Grund.

 

Aber es gibt auch einen anderen Grund: Die Reaktion auf den stark gestiegenen Ausbeutungsgrad, was wir heute nicht nur in Osteuropa, sondern in der ganzen Welt beobachten. Ich meine, es wird heute ernsthaft versucht, den Sozialstaat zu demontieren. Die sozialen Errungenschaften werden ernsthaft angegriffen. Eines der Ziele dieses Angriffs ist, die sozialdemokratischen Bewegungen, die meistens einen Sozialstaat behalten wollen und vom Kommunismus weit entfernt sind, zu diskreditieren. Die sozialen Errungenschaften werden überall angegriffen, auch in den Vereinigten Staaten. Hohe soziale Garantien hatten wir niemals, aber selbst das wenige, das wir haben ist momentan ernsthaft bedroht.

 

Aber ich denke, in diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, uns die Lage in Westeuropa anzuschauen, wo derzeit der Sozialstaat zunehmend attackiert wird. Die Eliten-Wirtschaftler, Politiker und Journalisten äußern sich ständig, dass die früheren sozialen Garantien nicht mehr finanzierbar sind. Sie wollen damit sagen, dass der einzige Weg aus der Finanzkrise darin besteht, den Gürtel enger zu schnallen: Die Löhne und den Lebensstandard  zu senken, sowie die öffentlichen Konsum-Fonds zu minimieren. Nur unter solchen Bedingungen kann der Kapitalismus in diesen Ländern überleben.

 

Der Antikommunismus spielt in diesen Umständen eine etwas andere Funktion. Er ist nicht nur dafür notwendig, jene Nazi-Nachfolger, die jetzt an der Macht sind, zu rehabilitieren, sondern auch dafür, um zu erklären, dass jeder Versuch, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen eine Bewegung in Richtung Kommunismus sei. Da der Kommunismus aber immer mehr dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, wird dann jede Bewegung in Richtung Erlangen eigener Rechte als nazistisch gedeutet. Ich glaube wir beobachten heute genau diese Prozesse.

 

Und das trifft nicht nur auf Osteuropa zu, für welches z.B. das Buch von Snyder vorgesehen ist. Das Buch mit dem Ziel der Rehabilitierung heutiger Machtstrukturen, wessen Legitimation in vieler Hinsicht auf antisowjetischen und antikommunistischen Fälschungen basiert.

 

Das Hauptziel einer solchen Politik im Westen ist die Delegitimierung der Idee des Kampfes für eine gerechte Gesellschaft außerhalb des Kapitalismus, außerhalb dieser massiven ausbeuterischen Form des Kapitalismus. Wissen Sie, ich denke, dass alle Widersprüche sich im Laufe der Zeit nur verschärfen werden: Der Ausbeutungsgrad wird steigern, sowie die Arbeitslosigkeit und Armut. Die Proteste gegen alle diese Erscheinungen werden sich intensivieren. Aber mit Verschärfung der Widersprüche wird man uns immer öfter sagen, dass diese Proteste zu "Totalitarismus" führen. "Totalitarismus" – ist ein solches Wort, mit welchem es sehr bequem ist, den Kommunismus und Nazismus in einen Topf zu werfen.

 

Das Wort „Totalitarismus“ wurde dank der politischen Theoretikerin Hanna Arendt populär. Als deutsche Jüdin war sie fachkundig auf dem Gebiet des Nazi-Deutschlands, wusste aber sehr wenig über die Sowjetunion. Jedoch schrieb sie ein Buch mit dem Namen „Totalitarismus“ (deutsch: „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“). Dieses Buch wurde sehr populär in den 1950-ger Jahren, da es eine pseudowissenschaftliche Sichtweise in die Welt brachte, die es erlaubte, den Nationalsozialismus und Kommunismus gleichzusetzen. Seitdem wird das immer und immer wieder wiederholt, und ich höre es auch überall. Ich verstehe auch genauso die Wechselbeziehung zwischen Neonazismus, also der Wiederbelebung faschistischer Bewegungen, deren Ideologien und dem Antikommunismus.

 

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Teil 3 – Standpunkt in den USA

 

1. Gibt es Voraussetzungen für die Wiederbelebung von Nazismus in heutiger amerikanischer Gesellschaft? Wie wird der Neofaschismus heute in amerikanischer Gesellschaft wahrgenommen?

 

2. Was wissen Sie und andere westliche, aber auch amerikanische Intellektuelle über den europäischen Neofaschismus? Was halten Sie von den Ansätzen, die historische Schuld auf andere Objekte zu übertragen? Wieso passiert das ausgerechnet heute?

 

3. Welchen Standpunkt hat das amerikanische politische Establishment in Bezug auf die Ansätze der Rehabilitierung des Faschismus?

 

4. Amerika ist überzeugt, dass sie die Hauptrolle im Sieg über den Faschismus in Europa gespielt hat. Diese Sichtweise wird der Bevölkerung der westlichen Länder durch die Medien und Schulen immer mehr implementiert. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass keine amerikanischen Massenmedien über die regelmäßige Märsche der ehemaligen SS-Soldaten und ihrer jungen Nachfolger in den Baltischen Staaten und der Ukraine berichten oder sich beunruhigen? Könnte es sein, dass solche Information für die amerikanische Gesellschaft sensationell sein wird?

 

 

Ich persönlich sehe kein Wachstum der pronazistischen Stimmung in den Vereinigten Staaten, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, den man erwarten könnte. Ich meine, Menschen in den USA wissen sehr wenig über Faschismus. Sie wissen nur, es war die Ideologie von Hitler. Aber woher kam diese Ideologie, welchem Zweck diente sie? Und es wird bestimmt von keinem der Nationalsozialismus mit Kapitalismus verbunden. Niemand betrachtet Nazismus als eine Entfaltung des Kapitalismus, welcher von der Arbeiterbewegung angegriffen wird.

 

Der Nazismus war nie populär. Einzelne Nazis waren immer im Zentrum der Aufmerksamkeit, jedoch hatte Nazismus als solches keinen großen Anhang. In bestimmten Kreisen kann man Mitleid zu Nazis und Interesse für die deutsche Armee merken. Ich kenne Leute, die sich für alles interessieren, was mit der deutschen Armee zu tun hat, sie sammeln militärische Reliquien, eine gleiche Begeisterung für die Sowjetische Armee habe ich jedoch nirgendwo bemerkt. Das kann man teilweise dadurch erklären, dass die Kriegsgeschichte der Ostfront für die westlichen Länder lange Zeit aus der Perspektive der Deutschen geschrieben wurde.

 

Wenn Sie in meiner Zeit aufgewachsen wären und sich für die Geschichte zwischen Deutschland und der Sowjetunion auf der Ostfront interessiert hätten, hätten Sie lediglich die Memoiren der ehemaligen deutschen Offiziere lesen müssen. Und alle diese Memoiren waren etwas merkwürdig.

 

Lesen Sie diese und Sie werden Sie erfahren, wie schlau die Deutschen waren, wie sie die Sowjets immer besiegten, aber im Endeffekt ist genau zum Gegenteil dessen gekommen. Wieso? Warum? Na das war alles wegen Hitler! Hitler war an allem schuld!

 

Man bekommt den Eindruck, wenn die "guten" Nazis Hitler irgendwie beseitigt hätten, so wäre alles ganz anders gegangen. Kurzum, wir (die amerikanische Gesellschaft – AdÜ) zeigen auf diesem Gebiet ein völliges Unwissen... und eine merkwürdige Bezauberung von den Deutschen. Was aber Nazismus anbetrifft, so würde ich nicht denken, dass es seine Wiederbelebung oder Rehabilitierung anzumerken wäre.

 


Und ich denke, dass eine ähnliche Situation sich in allen Schichten amerikanischer Gesellschaft beobachten lässt, sowohl im politischen Establishment als auch in der Bevölkerung. Es wird sehr wenig Aufmerksamkeit dem Ausbruch der pronazistischen Begeisterung geschenkt, was in Ost-Europa seit dem Niedergang der Sowjetunion vor sich hin geht. Es wird diesem Thema keine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geschenkt, das Interesse der Gesellschaft wird nicht darauf gelenkt. Wir hören lediglich über die politischen Stellungen der Regierungen der Baltischen Staaten, Polen, Ukraine. Der historische Hintergrund dieser wird aber nicht erklärt.

 

Amerikaner wissen sowieso nicht sehr viel über diese Länder. Dabei hat die gesamte Information, die der Gesellschaft geliefert wird, eine verborgene pro-nazistische Sichtweise.

 

Noch eine typische Erscheinung ist die Dämonisierung von Stalin. Stalins Persönlichkeit ist in westlicher Massenkultur und Geschichtsschreibung derart dämonisiert und verleumdet, dass man unter dem Deckmantel der Stalin´s Verfluchung fast alles gerechtfertigten kann.

 

Die angesehensten Zeitungen – wie New York Times – drucken überzeugt jede nächstbeste Legende über die sowjetische Geschichte zur Stalins Zeit oder über Stalin selbst, ohne jegliche seriöse Überprüfung. Es werden solche Informationen gedruckt, die noch sogar von etablierten westlichen Historikern wiederlegt werden. Es gehört sich einfach nicht, die Beschuldigungen von Stalin in irgendeiner Form anzuzweifeln. Und das alles heißt, dass die Geschichte der Sowjetunion im Wesentlichen bis heute nicht verstanden ist, und anstelle ihrer Geschichte wurde eine Karikatur der Geschichte gemacht.

 

Darin gibt’s aber nichts Neues. Vielleicht hat sich dieser Prozess in letzter Zeit verstärkt, es war aber nicht anders als ich noch jung war. Damals war Chruschtschow sehr populär... Natürlich, war keiner der sowjetischen Politiker sehr populär, aber wenn jemand populär war, dann war es Chruschtschow. Es wurde ab und zu versucht, aus ihm eine positive oder relativ positive Figur zu machen.

 

Ich denke, die Dämonisierung von Stalin kann durch die amerikanische Sichtweise des Zweiten Weltkriegs erklärt werden.

 

Zur direkten Wiederbelebung des Nationalsozialismus kommt es jedoch nicht, die Roosevelt Regierung wird jedoch sehr oft für ihre weiche und naive Haltung gegenüber Alliierten, also Stalin und Sowjets, kritisiert. Darüber hinaus existierte in den USA während der 30er, 40er und 50er Jahre eine starke kommunistische Bewegung und Angriffe auf Stalin wurden benutzt, um die kommunistische und antifaschistische Tätigkeit zu diskreditieren. Während des Bürgerkrieges in Spanien in den 1936-1938 Jahren hatten auch amerikanische Soldaten (das Lincoln-Bataillon) auf Seite der Spanischen Republik gekämpft. Diese Soldaten wurden in den USA als „verfrühte Antifaschisten“ bezeichnet und als Verräter behandelt, denn sie hassten Faschismus noch bevor der Hass zum Faschismus modern wurde.

 

Im Allgemeinen gibt also es überall Merkmale einer, so zu sagen, milden Einstellung gegenüber Nazis. Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, dass die meisten Menschen praktisch nichts über die enge Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen Industrie- und Finanzkreisen mit dem nazistischen Regime wissen. Zu diesem Thema gibt es gute Bücher, sie werden aber selten gelesen, und darüber wird praktisch nie gesprochen. Generell ist die nazistische Ideologie als solche nicht besonders populär in den elitären Kreisen aller kapitalistischen Länder, einschließlich der USA, wo solche Leute wie Henry Ford und Charles Lindbergh sich für den Nazismus interessiert haben. Zu den anderen bekannten Figuren zählt der Prinz von Wales.

 

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Teil 4 - Weitwinkelübersicht

 

 1. Amerikanische Geheimdienste unterstützten jene nazistischen Gruppen in der West-Ukraine, im Baltikum und in Osteuropa, die noch während des Zweiten Weltkrieges unter der Leitung des Hitler-Generals Reinhard Gehlen herausgebildet worden sind. Die US-Geheimdienste nützten aktiv ihr Konzept der „Eindämmungspolitik des Kommunismus“ (containment policy) gegenüber der UdSSR und der Politik der „Befreiung“ von Osteuropa.


Das Konzept der "Eindämmungspolitik" basierte auf der Strategie der Geheimoperationen, welche im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter der Leitung von Alfred Rosenberg ausgearbeitet wurden. Im Jahre 1956 unter der Leitung der CIA wurde Reinhard Gehlen zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) ernannt, um eine Geheimarmee aus Tausenden von ehemaligen SS-Legionären sowie aus ukrainischen als auch anderen Nationalisten, zu erstellen und diese zum Kämpfen auf dem UdSSR Territorium in der Nachkriegszeit einzusetzen. Wie schätzen Sie den CIA-Beitrag zum Wiedererwecken des heutigen europäischen Faschismus?


2. Wird heute nicht etwa ein ähnliches Szenario mit den baltischen Ländern gespielt, um die Russlands Positionen in diesen Ländern zu schwächen?

 

 

Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Alliierten Antikommunisten. Ich denke, viele verstehen es gar nicht, wie einflussreich jene Kräfte inmitten der westlichen Alliierten waren, die sich mit den Nazis gegen die Sowjetunion verbünden wollten. In der Vorkriegszeit gab es Momente, wo die Wahrscheinlichkeit einer Vereinigung der westlichen Alliierten mit Hitler gegen die Sowjetunion recht hoch war.

 

Somit wurden die Nazis innerhalb einer langen Zeit in den 1930-er Jahren als nützliche Kraft und sogar als mögliche Verbündete im Kampf gegen die Sowjets angesehen. Das ist ein ganz interessantes Thema, über welches man ein anderes Mal reden sollte.

 

Wenn man die hohe Popularität der Nazis in gewissen Kreisen der führenden kapitalistischen Klassen im Westen vor dem Zweiten Weltkrieg berücksichtigt, dann ist es auch nicht überraschend, dass mehrere ehemalige Nazis nach dem Krieg von siegreichen Westalliierten vielfach eingesetzt wurden.

 

Reinhard Gehlen, ein Experte des Nazi Geheimdienstes im Kampf gegen den Kommunismus, gegen die Sowjetunion, wurde ganz einfach von den Westdeutschen, also in Wirklichkeit von den Amerikanern eingesetzt, um diese Tätigkeit fortzusetzen. Darüber hinaus waren die Nazis große Experten im Kampf gegen den Kommunismus, insbesondere in Deutschland, wo sie erfolgreich eine sehr große kommunistische Bewegung zerschmettert haben.

 

Zweifellos war das eine wertvolle Erfahrung für die westlichen Alliierten. Eine riesige kommunistische Partei wurde von Nazis schnell und effektiv zerschlagen. Nazis kannten sich in solchen Sachen sehr gut aus. Außer der Nutzung ehemaliger nazistischer Agenten und ihres Geheimdienstapparats wurde es für die herrschenden Kreise klar, dass man für die Aufstellung der antikommunistischen Regierungen, zum Beispiel in Deutschland, die ehemaligen Nazis in immer größerem Umfang benutzen muss.

 

Die ehemaligen Nazis waren in der Regierung, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, überall: Sowohl in West-Deutschland als auch in anderen verbündeten Ländern. So wurde beispielsweise das US-Raumfahrtprogramm von jenen Leuten entwickelt, die die Raketen für Nazi-Deutschland erstellt haben.

 

Ich denke, dass damit auch das zurückhaltende Verhalten in Bezug auf eine breite und konsequente gerichtliche Verurteilung nazistischer Kriegsverbrecher zu erklären ist. Ja, einige wurden verurteilt. Die Mehrheit der einflussreichen Nazis entkam jedoch jeglicher Strafe. Es war einfach nicht das Hauptproblem der Nachkriegszeit, die Nazis zu verfolgen. Ich habe früher die World Anti-Communist League und The League of Captive Nations erwähnt. Das sind dieselben Gruppen, denen es schlussendlich gelungen in Washington D.C. das antikommunistische Ehrenmal zu errichten.

 

Es waren fast nur faschistische Gruppen oder Antikommunisten, die mit den Nazis gegen den Kommunismus kooperiert haben. Gruppen ukrainischer Nationalisten oder Nationalisten aus anderen Ländern wurden oft von Geheimdiensten zur Aufklärung benutzt. Wir hatten hier in South River New Jersey eine große Gruppe weißrussischer Nationalisten.

 

Aus irgendwelchen Gründen sind die weißrussischen Nationalisten nicht so erfolgreich in Weißrussland, wie die ukrainischen Nationalisten in der Ukraine. Das ist nicht weil sie sich nicht bemüht haben oder weil sie nicht unterstützt wurden, ganz im Gegenteil – sie haben sich natürlich bemüht.

 

Ich denke also, dass Antikommunismus jene Sache ist, die alle diese Vorgänge verbindet. Es ist gerade der Antikommunismus, denn er dient der Ausbeutung, die dem Kapitalismus zugrunde liegt. Ich denke, es ist nicht möglich, eine kapitalistische Gesellschaft ohne starken antikommunistischen ideologischen Bestandteil aufzubauen. Denn es ist notwendig, den Kampf der Arbeiter gegen die Ausbeutung, für bessere Arbeitsbedingungen, gegen den Rassismus und so weiter zu diskreditieren.

 

Ich weiß auch nicht mehr über die nazistischen Organisationen der baltischen Staaten, als ich bereits gesagt habe. Darüber hinaus kann ich nur hinzufügen, dass sie nicht sehr viel Aufmerksamkeit der etablierten amerikanischen Medien auf sich ziehen. Daraus folgt, dass das amerikanische Establishment kein großes Problem darin sieht. Das bedeutet nicht, dass die amerikanischen Eliten sie in einer kritischen Situation unterstützten würden, jedoch sehen sie darin keine Probleme. Ich denke, dass man größtenteils sie als eine Art natürliche Reaktion auf den Kommunismus ansieht, weniger als wahre Nationalisten. Auf jeden Fall, stellen sie sich das so vor. 

 

Das heiße im Grunde, wenn man ein Kommunist sei, so könne man kein Nationalist sein und dementsprechend könne man seiner Nation und seinem Land nicht treu bleiben. Sie haben eine ausschließlich kapitalistische Vorstellung darüber, was eine Nation ist. So wird jeder Kommunist zum Landesverräter. Jedoch ist man kein Verräter, wenn man ein Faschist ist.

 

Auf diese Weise ist das Gesamtkonzept der Staatlichkeit mit solchen faschistischen Vorstellungen über das Volk oder Nation verbunden. In Rahmen von diesem Konzept kann ein Kommunist kein Nationalist sein. Es ist auch deswegen so, weil die Amerikaner und überhaupt Leute im Westen den Nationalismus wie Patriotismus zum positiven Wert zählen.

 

Also wenn man es zeigen kann, dass polnische Antikommunisten oder litauische, estnische und lettische Antikommunisten, oder ukrainische Antikommunisten, oder georgische Antikommunisten, oder irgendwelche andere Antikommunisten Patrioten sind, so wird ihr Antikommunismus verständlich. Ja, natürlich haben sie die Juden vergeblich ermordet. Das war wirklich schlecht. Alles andere kann man aber als einen durchaus legitimen Nationalismus betrachten. So werden sie auch in diesen Ländern behandelt.

 

Ich habe erst vor kurzem einige Dokumente über Polen geschaut. Die polnische Armee Krajowa (Polnische Heimatarmee – AdÜ) hat sich der Sowjetunion im Jahre 1945 nicht vollständig ergeben. Einige ihre Einheiten gingen in den Untergrund und hatten ihre Tätigkeit in der West-Ukraine und in westlichen Teilen Weißrusslands bis zu den 1960er Jahren fortgesetzt, bis die letzten von Ihnen vernichtet wurden. Diese Krieger ermordeten jeden, der ihrer Meinung nach Polen nicht treu genug war. Sie waren fest davon überzeugt, dass West-Ukraine und westliches Weißrussland nur Teile von Polen sein sollen. Aus diesem Sichtpunkt wurden natürlich nur sie als einzige legitime Vertreter Polens bezeichnet. Kurz gesagt, sie waren Terroristen. Es ist verständlich, dass alle Terroristen ihre Taten auf irgendeine eigene Weise rechtfertigen. Diese Leute waren Terroristen, jedoch sagt man das nicht über sie. Um sie zu beschreiben, benutzt man die Sprache des Antikommunismus und des verfälschten Nationalismus. Und das ist die Wahrheit. So eine Politik legitimiert somit sowohl ukrainische Nationalisten als auch Nationalisten der Baltischen Staaten. Wenn man diese Leute als Patrioten und Nationalisten bezeichnet, und das im eigenen verfälschten Sinne des Wortes, so bekommt ihre Tätigkeit in den Augen der inkompetenten Menschen, oder jener Menschen die sich gerade damit auseinandersetzen, eine legitime Grundlage.

 

***

 

 

3.Die Frage über die Macht als solche. Worauf basiert die Legitimität der Macht? Das Geld geht zu Ende und man wird bald nicht mehr damit alle Löcher zustopfen können. Braucht man nicht etwa ein Feindbild, das man aus Kommunismus, aus Russen macht um diese Legitimität aufrechtzuerhalten? Unter dem Vorwand angeblicher Wahrheitsbestrebungen macht man ungeheuere Unterstellungen, Faktenverdrehungen, Falsifikationen. Ist es auf der Tagesordnung in den westlichen Demokratien? In den Ländern mit entwickelter Bürgergesellschaft? Im Kampf für die Wahrheit Lügen zu verwenden – ist es kein Nonsens? Oder ist es die Norm der Politik und des Verhaltens der Massenmedia in heutiger Gesellschaft?

 

 

Ich denke, dass die derzeitige russische Regierung und ihre Eliten, insbesondere die politischen Eliten mit der kommunistischen Vergangenheit eng verbunden sind, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Einerseits nutzen Gorbatschow und Jelzin antikommunistische Ideologie und antikommunistische Argumentation als eine Art „gesetzliche“ Grundlage für die Beseitigung der Sowjetunion: „Stalin war furchtbar, und Sowjetunion war furchtbar – deswegen war die Zerstörung der Sowjetunion legitim“.

 

Andererseits ist die sowjetische Geschichte untrennbar von der russischen. Das russische Volk schuf diese Geschichte, also den größten Teil davon. Und diese Geschichte sieht für viele ehemalige sowjetische Menschen, einschließlich vieler Russen attraktiv aus. Darüber hinaus tendieren andere Länder, deren Eliten auf nationalistischen Positionen stehen, dazu, Russland dafür verantwortlich zu machen, was die Sowjetunion machte oder was ihr zugeschrieben wird.

 

Meiner Meinung nach lässt die sowjetische Vergangenheit die heutige russische Regierung und die russischen Nationalisten einfach nicht in Ruhe. Der Westen, die Vereinigten Staaten haben Gorbatschow einfach um den Finger gewickelt. Es scheint so, als ob ihm direkt oder indirekt mitgeteilt worden ist, dass durch die Beseitigung der Sowjetunion und die Wiederherstellung des Kapitalismus Russland eine gleiche Stellung in der Welt bekäme, wie alle NATO Mitgliedsstaaten. Es scheint auch so, dass Gorbatschow und einige Leute in der späten sowjetischen Elite glaubten, dass die Spannung zwischen dem Westen und dem Osten nur durch ideologische Diskrepanzen zwischen dem Kommunismus und dem Kapitalismus bedingt waren. Natürlich, ist es dem nicht so. So etwas nennt man auch Großmachtdiplomatie. In Wirklichkeit haben Vereinigte Staaten den politischen Antagonismus gegenüber Russlands Interessen nie gemindert.  

 

Es ist vielleicht unabdingbar, dass große und starke Länder der kapitalistischen, imperialistischen Wettbewerbswelt immer antagonistische Interessen haben. Es wird immer so bleiben. Weiterhin bin ich überzeugt, dass es für die Vereinigten Staaten vorteilhaft ist, Russland, sowie andere Konkurrenten, negativ darzustellen. Teilweise dienen dazu die aus der Sowjetzeit gebliebenen Vorurteile: „Russland handelt, wie die Sowjetunion es tat“, „russische Regierung handelt, wie die sowjetische handelte“. In Wirklichkeit handeln sie ganz anders.

 

Ich denke, hinter dieser Rhetorik verbirgt man einen viel tieferen fundamentalen Interessenskonflikt, denn die kapitalistische Konkurrenz basiert auf Interessenskonflikten. Es darf einfach nicht sein, dass Russland oder China, sagen wir mal im Nahen Osten gleiche Interessen haben, wie Vereinigte Staaten. Nicht umsonst bezeichnet man diese Region als „Hinterhof der USA“. Die amerikanische Präsenz in Afghanistan und Irak ist nur deswegen möglich geworden, weil die Sowjetunion zerstört ist. Es hätte nicht passieren können, wenn Sowjetunion ein starkes mächtiges Land geblieben wäre. Vereinigte Staaten haben den Moment erfolgreich genutzt und haben jetzt auch nicht vor wegzugehen.

 

So eine Situation erzeugt eine Quelle von unvereinbaren Gegensätzen und fördert möglicherweise auch die antikommunistische Propaganda. Die Vergleiche von Putin und Stalin oder ähnliches könnten damit erklärt werden. Ich denke aber, dass nationale Interessen solch großer kapitalistischer Länder wie USA und Russland in vielen Bereichen konfliktreich aneinander prallen werden. Derartige Konflikte haben seinerzeit zum Ersten Weltkrieg geführt, welcher allerdings nicht ideologisch geprägt war. Man kann sicher sagen, dass der Zweite Weltkrieg teilweise ideologisch war: Kapitalismus, Faschismus, Kommunismus und Nazismus. Ja, alles richtig, aber der erste Weltkrieg war nicht ideologisch. Das war einfach ein Kampf kapitalistischer, imperialistischer Länder für ihre Interessen, und so waren alle Kriege in der Geschichte. Sie alle entwickelten sich aus den Interessenskonflikten regierender Gruppen verschiedener Länder. So wird es auch immer weitergehen.

 

Die Legitimität der Regierung im Westen wird heute scharfer Kritik unterzogen. Ich denke, nicht nur in den USA sondern im ganzen Westeuropa. Ich kam gerade aus Belgien. Überall wird gegen Budgetkürzungen, die wegen der Finanzkrise der Mehrheit der Bevölkerung aufgezwungen wurden, protestiert. Sowohl in Westeuropa, als auch in den Vereinigten Staaten. Die Proteste sind eine Form von Zweifel an der Legitimität der Macht.

 

Die "New York Times" war in der letzten Woche voll mit Artikeln, wie viele Menschen in Griechenland die Legitimität der griechischen Regierung in Frage stellen. Was bleibt ihnen sonst übrig? Deswegen denke ich, dass Antikommunismus auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird, wie ich es schon sagte. Ich denke, dass wir es beobachten können, wie der Antikommunismus in der westlichen Propaganda an Bedeutung zunehmen wird. Übrigens nicht nur im Westen. Das passiert natürlich auch in Russland. In Russland ist diese Frage ebenfalls aktuell, sie wissen bestimmt mehr darüber als ich, da ich es nur aus der Entfernung beobachte. Es ist die Frage, was man mit der sowjetischen Vergangenheit nur tun soll. Die sowjetische Vergangenheit ist im breiten Sinne jetzt für alle offen.

 

Ein gutes Beispiel ist der Stalin. Trotz aller Angriffe seitens prowestlicher Kreise und anderer Kräfte ist Stalin als historische Figur immer noch sehr populär, besonders bei den Berufstätigen. Somit könnte man also sagen, dass sogar in Russland der Kampf um die sowjetische Vergangenheit, die Konfrontation zwischen Kommunismus und Antikommunismus den Ausmaß der Volksunzufriedenheit mit der herrschenden Politik abzeichnet, und diese Politik ist, wie sie wissen, genauso ausbeuterisch, wie in den anderen Ländern.

 

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4. Wohin führt Ihrer Meinung nach der Hauptvektor all dieser Prozesse? Was ist das Endziel der Kräfte oder internationaler elitärer Gruppen, die diese Prozesse initiieren? Was ist das Wesen der heutigen Zeit?

 

 

Wir leben im 21. Jahrhundert. Vor kurzem ist das letzte Jahrhundert zu Ende gegangen. Lasst uns also einen Blick aufs 20. Jahrhundert werfen. Ich würde sagen, dass das 20. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes das sowjetische Jahrhundert  war. Die Russische Revolution wurde wahrscheinlich mehr als jedes andere Ereignis zum kristallisierenden Ereignis des letzten Jahrhunderts.

 

Alles andere dreht sich um diese große Erfahrung des Sozialismus und Kommunismus. Sie hatte einen Einfluss auf alles, was in der Welt passierte: Auf die Krisen und auf die Erfolge. Aber schließlich hörte die sowjetische, die weltweite kommunistische Bewegung (die Sowjetunion, und ich würde sagen der Kommunismus in China und in anderen Ländern) auf, zu existieren. Egal, ob es an den inneren Schwächen oder am Verrat der Anführer (wir müssen es noch untersuchen) lag, sie existiert nicht mehr.

 

Und wir ernten die Konsequenzen dessen. Wir leben in der Zeit nach dem Ende der Sowjetunion, nach dem Ende der globalen kommunistischen Bewegung. Zum ersten Mal innerhalb von mehr als hundert Jahren gibt es in der Welt keine mächtige Bewegung der einfachen Leute und der Arbeiterklasse, welche auf Schaffung einer neuen Gesellschaft ausgerichtet ist.

 

Diese Bewegung ist stark gespalten, gebrochen, getrennt und unsicher in ihren Handlungen. Meiner Meinung nach, gab diese Situation den Kapitalisten, also den Welt- Globalisten, die nur ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, eine einmalige Gelegenheit. Die Gelegenheit, ihre Gewinne auf Verschlechterung des Lebensstandards der Arbeiter nicht nur in Osteuropa, sondern auf der ganzen Welt, drastisch zu erhöhen. Natürlich geschah das in Osteuropa auf katastrophale Weise. Ich brauche es Ihnen nicht zu erzählen, wie katastrophal der Zusammenbruch des Lebensstandards in der ehemaligen Sowjetunion und Russland, sowie im restlichen Teil des sowjetischen Blocks in den 90-er Jahren war.

 

Aber es geschieht jetzt auch im Westen, weil es keine alternativen Kräfte gibt. Wir bekamen in den Vereinigten Staaten in den 30-er und dann in den 60-er Jahren soziale Sicherheit, Arbeitslosengeld, eine bescheidene Krankenversicherung und sehr bescheidene Sozialleistungen. Ich glaube, das passierte vor allem deshalb, da die US-Regierung versuchte zu beweisen, dass der Kapitalismus human sein kann, dass man keinen Kommunismus brauche, und dass wir auch beim Kapitalismus ein anständiges Leben führen können. Kapitalismus könne dass alles gewährleisten. 

 

Dasselbe geschah auch im restlichen Europa, nicht wahr? Die sozialdemokratischen Parteien waren ursprünglich in einer Bewegung mit den marxistischen Parteien zusammen: im 19. Jahrhundert waren sie alle sozialdemokratische Parteien. Später trennten sie sich. Die sozialdemokratischen Parteien kämpften nicht für die Revolution, wie in Russland, sie begünstigten jedoch die Politik im Bereich der sozialen Versorgung und hielten dank aller diesen Sozialleistungen den Kapitalismus aufrecht.

 

Und nun, wenn diese kommunistische Bewegung nicht mehr existiert oder stark gespalten ist, muss der Kapitalist nicht mehr die Arbeiterklasse mit sozialen Vorteilen bestechen. Das heißt, sie werden es auch nicht mehr tun. Sie haben heute keine Angst, dass die Arbeiter sich jetzt zum Kommunismus wenden. Sie haben keine Angst, dass die Arbeiter der Sowjetunion gegenüber loyal sein werden.

 

Wissen Sie, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Italien und Frankreich Städte, wo Menschen die Straßen nach Josef Stalin benannt hatten. Was sagte das der französischen oder italienischen regierenden Klasse? Das diese Menschen nicht in den Krieg ziehen werden! „Wenn wir gegen die Sowjetunion einen Krieg führen, werden diese Menschen für uns nicht kämpfen. Denn sie benennen die Straßen nach dem Namen von Josef Stalin.

 

Paul Robson, ein bekannter amerikanischer Kämpfer gegen Rassismus (auch wenn er kein Kommunist war, unterstützte er trotzdem die Kommunisten) traf sich einmal im Jahre 1946 oder 1947 mit dem Präsidenten Truman und sagte ihm: "Wenn Sie einen Krieg gegen Sowjetunion anfangen, so werden Afroamerikaner in diesem Krieg nicht kämpfen".

 

Die Sowjetunion stellte allein durch seine Existenz eine Bedrohung dar, aber nicht in dem globalen Sinne, dass sie die ganze Welt erobern wollte. Die Sowjetunion wollte niemals die Welt erobern. Die USA wollten die ganze Welt erobern. Die Sowjetunion hatte das niemals gemacht. Sie hatte immer eine Abwehrstellung eingenommen. Die westlichen kapitalistischen Länder hatten aber Angst. Deswegen hatten sie auch ihrer Bevölkerung all diese Sozialleistungen angeboten.

 

Vor paar Jahren war ich mit meinem alten Schulfreund auf einer Bergtour in New Hampshire wandern. Dort gibt es einen wunderschönen Wanderweg zum Berggipfel mit Hütten, die im Jahre 1930 von der Umweltschutzorganisation Civilian Conservation Corps gebaut wurden. Mit Hilfe dieser Organisation hatte die Regierung für Arbeitslose Arbeitsplätze geschaffen. Es gab Stellen für Arbeiter, Schriftsteller, Musiker. Die Idee bestand darin, dass die Regierung Arbeitsplätze schaffen musste, wenn diese in der freien Wirtschaft nicht zu finden waren. Dies passierte, weil es Sowjetunion gab, weil es eine globale kommunistische Bewegung gab, deswegen wurden sie auch gezwungen es zu machen. Wir waren also beim Wandern mit meinem Schulfreund, den ich bereits seit meinem 4. Lebensjahr kenne. Er kommt aus Kanada, dementsprechend hat er all diese Sozialleistungen.

 

Ich fragte:
– Weißt Du, wem wir alles das, was wir hier sehen, zu verdanken haben?
– Präsidenten Roosevelt.
– Und darüber hinaus? – fragte ich. – Man sollte sich bei Stalin bedanken! Denn, wenn es keine Sowjetunion gäbe, hätte es Roosevelt auch nicht gemacht.

 

Die Unterstützung vom Großkapital war ein Faktor, das Roosevelt erlaubte im Jahre 1932 gewählt zu werden. Zum Beispiel, der Milliardär Cyrus Eaton sagte: "Wir sind mitten in der Depression und dieser Mann wird für uns den Kapitalismus retten". Auf diese Weise bekamen wir unsere sozialen Garantien, genauso, wie die Kanadier, Europäer und Australier. Sie bekamen diese, weil Kapitalisten Angst hatten. Das wurde gemacht, um die Arbeiterklasse zu bestechen. Heute muss man sie jedoch nicht mehr bestechen. Die Arbeiter haben keine Ausweichalternative.

 

Die Gewerkschaften sind sehr schwach und werden noch schwächer. Die Kapitalisten können machen was sie wollen. So leben wir in diesem Wellenrückstrom. Stellen Sie sich ein großes Ozeanpassagierschiff vor. Es schneidet das Wasser vorne durch und hinterlässt eine sprudelnde Spur, ein Chaos, ein Durcheinander. Genau in so einem chaotischen Strom leben wir heute.

 

Die weltweite kommunistische Bewegung ist erloschen und wir werden immer weiter in das Chaos gezogen. Dies ist die historische Realität, in welcher wir unglücklicherweise leben. Für mich ist es ein kleineres Unglück, da ich schon sehr alt bin. Aber für jüngere Menschen – meine Kinder, Ihre Kinder – wird es viel schwerer sein, in dieser Welt zu leben. Sie werden keine solchen sozialen Garantien haben. Was auch immer über die Sowjetunion gesagt wird, im bestimmten Ausmaß gab es dort soziale Garantien. Das ist etwas, was die Menschen im Sozialismus geschätzt haben (in Osteuropa, Sowjetunion, wo auch immer). Das ist verloren. Jetzt kamen jene Kräfte, die sagen, dass Menschen selbst für alles bezahlen müssen, dass die Regierungen nicht mehr in die Erhaltung der Lebensstandards der Bevölkerung einbezogen werden müssten.

 

Also wir leben in dieser Epoche. Aber ich glaube an die Geschichte und an die Zukunft der Menschheit... Ich denke, dass die Zeit kommen wird, wenn die Menschen, Arbeiter und andere, eine neue weltweite Massenbewegung für den Kampf gegen jene Politik bilden, die uns heute umgibt, die zum Elend bringt, zu steigenden Armuts-  und Arbeitslosigkeitsraten führt usw. Natürlich, wird das nicht morgen früh geschehen. Ich denke, es wird eine langwierige Periode der Schwierigkeiten und Leiden sein.

 

Und bevor etwas Ähnliches der Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsteht,  einer sozialistischen und kommunistischen Bewegung (die vor der russischen Revolution nicht kommunistisch, sondern nur sozialistisch genannt wurde) – bevor eine neue Möglichkeit für den Aufbau einer besseren Welt entsteht (auf einer Idee basierend, dass die Menschen sich nicht mit Armut und Ausbeutung zufrieden geben sollen), wird viel Zeit vergehen.

 

Ich denke, es wird eine sehr schwierige Zeitspanne sein, aus welcher am Ende etwas Besseres entsteht. Genau das meine ich, wenn ich sage, dass die russische Revolution und die Sowjetunion, im gewissen Sinne, den Charakter der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts bestimmt haben.

 

Zur Hauptkraft in der Welt wurde die Idee, dass die Arbeiter eine Gesellschaft aufbauen können, in welcher sie sich wohl fühlen. Und wir haben das Unglück, in einer Zeit zu leben, in der diese Bewegung deutlich geschwächt ist. Was rückt also in den Vordergrund? In den Vordergrund rückt derzeit die internationale Konkurrenz, ähnlich jener Konkurrenz, die zum Ersten Weltkrieg führte.

 

Und das ist sehr beängstigend, denn das bedeutet, dass auf uns eine Zeit der Kriege zukommt. Und Menschen reden schon: "In 20 Jahren wird es einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China geben... Auf welcher Seite wird Russland sein? Für wen wird Deutschland stehen?" Und so weiter. Auf diese Weise kehrten wir in den Zustand zurück, in dem Menschen vor dem Ersten Weltkrieg lebten. Wir wissen, wozu das geführt hat. Deswegen spüre ich eine starke Notwendigkeit, wenn diese Zukunft schon nicht zu vermeiden ist, zumindest ihre schlimmsten Aspekte zu mildern.

 

Es ist dringend notwendig, dass es eine Bewegung entsteht. Eine neue Bewegung – die der weltweiten sozialistischen Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg und dann der kommunistischen Bewegung nach der Sowjetischen Revolution ähnlich ist – muss dringlich ins Leben gerufen werden.

 


Anmerkungen:
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[1] September 2010. USA: amerikanische Marinesoldaten machen mit Spaß und Freude die Aufnahmen mit zwei Fahnen im Hintergrund: Mit der amerikanischen und der SS-Fahne:
http://www.dailymail.co.uk/news/article-2098946/US-Marines-sniper-squad-seen-Afghanistan-posing-Nazi-SS-flag.html?ITO=1490
http://www.telegraaf.nl/buitenland/11484060/__Militairen_in_opspraak_om_SS__.html


[2] Oktober 2010. Deutschland: Im Deutschen Historischen Museum ist eine Ausstellung "Hitler und die Deutschen" mit dem Untertitel "Volksgemeinschaft und Verbrechen" eröffnet. Die Ausstellung hat großes Interesse in deutscher Gesellschaft erweckt. http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/hitler-und-die-deutschen/hitler_ausstelllen.html
http://www.svobodanews.ru/content/article/2190791.html

 

[3] Seit 27. Januar 2012 im Kino "Heil Hitler- die Russen kommen", Untertitel: Zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern, eine Kurze Annotation: im "Heil Hitler - die Russen kommen" Leute erzählen gefühlstief und authentisch über ihre Lebensgeschichten und dшу Wahrnehmung zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern.
http://www.simonwieland.com/hh-start.html

 

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Grover_Furr

 

 

 

Lesen Sie das Interview auch in Englisch (Originalsprache) und Russisch.