Prof. Hans Hautmann

beantwortet die Fragen zum Projekt

Die Wiederkehr des Faschismus – XXI

(Das Stenogramm vom Interview am 20.10.2012)



Frage: Seit der Publikation im Jahre 1956 des Werks von Carl Friedrich und Zbigniew Brzezinski "Totalitarian Dictatorships und Autocracy" ist das Wort "totalitär" zu einem Instrument geworden, mit dem viele Politiker die Parallelen zwischen Kommunismus und Nazismus/Faschismus ziehen können. Gibt es eine wissenschaftliche oder politische Erklärung für solche Vergleiche?

Video Teil 1.



Also, ich, als Historiker, der jetzt schon über 50 Jahre in diesem Metier tätig bin, kenne die Totalitarismustheorie, die auch von Hannah Arendt seiner Zeit schon in einem großen Werk verbreitet wurde, und ich muss sagen, nach unserem Diskussionstand unter den seriösen Historikern, ist die Totalitarismustheorie höchstumstritten, und wird selbst von Historikern und Politikwissenschaftlern, die weit davon entfernt sind, Sympathien für den Kommunismus zu haben, strikt abgelehnt.

Und ich glaube, dass diese Gleichstellung von Faschismus und Kommunismus immer ein politisches Kampfinstrument gewesen ist, gewisser Kreise, die durch den Vergleich dieser beiden politischen Systeme vor allem aber abgezielt auf die Diskreditierung des Kommunismus.



Frage: Gibt es eine wissenschaftliche oder politische Erklärung für solche Vergleiche?

Video Teil 2.



Ich glaube, es gibt eine politische Erklärung, die natürlich dann auf die Wissenschaft ausstrahlt. Die politische Erklärung ist, dass die an der Macht befindlichen heute, und zwar global in der Welt, den Kommunismus immer noch mehr fürchten, als den Faschismus oder National-Sozialismus. Für die war das vom Anbeginn an seit der Oktober Revolution von 1917, der Hauptgegner, den es zu bekämpfen gilt, und dadurch, dass man die Beiden, unter die Totalitarismus Theorie subsumiert hat, hat man vor allem ein Kampfmittel in der Hand gehabt, um überhaupt utopisch sozialistische oder kommunistische Ideen von Anfang an zu diskreditieren.



Frage: Viele Europäer haben einen negativen Reflex auf das Wort "Kommunismus". Warum ist es fast auf der Tagesordnung bei heutigen Politikern und Journalisten den Kommunismus dem Nazismus gleichzusetzen? Sogar während der Zeiten des Kalten Kriegs war das unvorstellbar diese zwei gegensätzliche Ideologien gleichzusetzen, was ist heute passiert?

Video Teil 3.



Wenn man also, das geschichtlich betrachtet, dann muss man sehen, dass die Sowjetunion im zweiten Weltkrieg eine welthistorische Rolle gespielt hat, gemeinsam mit den westlichen Alliierten im Kampf gegen den Faschismus und National-Sozialismus, und dass in den Ländern Großbritannien, den USA, also den Verbündeten der Sowjetunion, die Masse der Menschen sehr große Sympathie hatte für die Rote Armee, für die Sowjet Union: sie haben gesehen, welche gewaltige Opfer dieses Land gebracht hat im Kampf gegen Hitler.

Und das war gewissen Leuten ein Dorn im Auge: man hat dann, in den späten 40-er Jahren, versucht, diese Sympathien wieder aus den Köpfen der Menschen herauszubugsieren, in dem man eben zurückgegriffen hat auf die Gleichstellung zwischen Faschismus und Kommunismus, wobei als Paradebeispiel die Zeit des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes immer gedient hat, und da wurde gesagt, das zeigt, dass die zwei ohnehin miteinander innerlich politisch verwandt gewesen sind.

Das heißt, es beginnt, eigentlich, schon in der Zeit des kalten Krieges, diese Gleichstellung, und ist dann, natürlich, nach dem die Totalitarismustheorie entsprechend theoretisch ausgearbeitet wurde von verschiedenen Leuten, dann in den 50-er – 60-er Jahren, die Haupttheorie gewesen, um Sozialismus in der Welt zu bekämpfen.



Frage: Haben Sie den Film „The Soviet Story“ gesehen? Wie ist Ihre Meinung und Ihre Kommentar zu diesem Film? Wie sehen Sie die öffentliche Meinung in der Gesellschaft bezogen auf diesen Film?

Video Teil 4.



Ja, ich habe einen kurzen Ausschnitt gesehen, und muss sagen, dass das für mich keine ausgesprochene Überraschung oder Neuigkeit gewesen ist. Es gibt zahlreiche solche Produktionen, die, vor allem die schrecklichen Dinge in den Vordergrund rücken. Es hat tatsächlich solche Dinge gegeben aber, das Problem ist, dass das umgekehrt wird: vom Haus aus ist der Kommunismus eine mörderische Idee, und wenn er verwirklicht wird, dann kommt eben die mörderische Praxis heraus.

Wenn man aber allein von der Ideengeschichte das betrachtet, gehen ja solche Vorstellungen bis in die Ursprunge der Geschichte zurück, dass eine Gesellschaft ohne Unterdrückung, ohne Ausbreitung möglich ist und erstrebenswert ist.

Das ist, also, eine uralte Menschheitsidee, die entstanden ist sobald die Klassengesellschaft sich entwickelt hat und deshalb muss man vor allem das in den Vordergrund rücken. Und das ist eine grundlegend andere ideelle Grundlage oder Basis, als etwa ein faschistisches Ideengebäude, das davon ausgeht, dass die Menschen ungleich sind, rassistisch ist. Und das alles (die Klassentheorie) fehlt hier natürlich.



Frage: Was halten Sie von der im Film "The Soviet Story" präsentierten These: "UdSSR half Nazi-Deutschland bei der Holocaust-Entwicklung"?

Es gehr um die Judenvertreibung, sowie gewissen Terror und Totalitarismus-Morde an eigenem jüdischem Volk. Das wird vermutet und es wird der Sowjetunion inkriminiert, dass das Nazideutschland das abgeschaut und gelernt hat.

Video Teil 5.



Das ist vollkommen unrichtig, denn zuerst einmal weiß man, dass von faschistischer Seite dem Kommunismus und speziell dem russischen Bolschewismus immer nachgesagt wurde, dass sei eine jüdische Erfindung, das vor allem Juden die Protagonisten des Bolschewismus seien.

Wenn man sich die Geschichte der Sowjetunion anschaut in den zwanziger Jahren vor allem und die ganze Zeit über, hat es in dem Sinne nie eine Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion gegeben. Natürlich hat es einen Antisemitismus unter den Russen, den Ukrainern und Anderen gegeben, aber es ist, und das muss man offen sagen, versucht worden solche Ressentiments, die da waren in der Bevölkerung, schon aus der Zarenzeit her zu dämpfen, dass es ein friedliches Zusammenleben da ist mit der Staatenjüdischen Bevölkerung im westlichen Teil damals der Sowjetunion. Und deshalb ist die Herstellung eines Konnexes da absurd.



Frage: Der Film "The Soviet Story" bekam 2008 "Mass Impact Award" am Bostoner Film Festival und wurde in den westlichen Massenmedien energisch präsentiert. Im Moment ist die DVD mit dem Film in 30 Sprachen der Welt erhältlich. Warum bekommt so eine Information eine reiche Werbung in den offiziellen Massenmedien, während die Gegenmeinungen und die negative Kritik über den Film – die auch fachlich begründet von den historischen Wissenschaftlern kommt – in der Öffentlichkeit gar nicht präsentiert werden?

Video Teil 6.



Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich bin der Historiker, der die Geschichte von unten schreibt. Ich habe mich immer mit Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung früher beschäftigt und ich weiß aus eigener Erfahrung, das wenn etwas nicht in das herrschende Geschichtsbild hineinpasst und etwas den Interessen der Leute die an der Macht sind und bestimmen, welches Geschichtsbild vermittelt wird, nicht entspricht, dann haben sie stärkere Möglichkeiten als jene, die dagegen auftreten. Es ist Systemimmanent das sehr wohl Beachtung und Verbreitung findet, während die Gegenmeinungen dazu möglichst verschwiegen werden, vertuscht werden und unter den Teppich gekehrt werden.



Frage: Der US-amerikanischer Historiker Snyder behauptet in seinem Bestseller-Buch "Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin", dass Kommunismus und Nazismus keine Antagonisten waren, sondern dass der Kommunismus ein viel schrecklicheres Regime, als der Nazismus war. Es schaut so aus, als ob einige zeitgenössische Historiker und nicht nur Historiker Nazismus aus der Kategorie des "absoluten Bösen" in die Kategorie des "relativen Bösen" bewegen wollten. Wie sehen Sie die Folgen von so einem Paradigma für Europa und für die restliche Welt?

Video Teil 7.



Ich sehe das ausgesprochen negativ. Es ist bekannt, dass vor ca. 10-12 Jahren das große "Schwarzbuch des Kommunismus" erschienen ist, ein umfangreiches Werk, wo vor allem dargestellt wurde wie riesig die Zahlen der Opfer an Menschen gewesen sind in den kommunistischen Ländern von der Sowjetunion angefangen, dann über das China Mao Zedongs und bis zu Pol Pot in Kambodscha etc.

Eines steht fest, dass es große Opfer gegeben hat, dass das auch eine Folge der Isolierung dieser Revolution von 1917 in Russland gewesen ist, dass dieses Russland über Jahrzehnte eine Art belagerte Festung war, dass man entsprechende Maßnahmen so wie es eben in einer belagerten Stadt ist, auch in anderen Gesellschaftsformationen sich zu wehren, sich zu schützen.

Und das Entscheidende aber ist, dass heute nachgewiesen wurde, dass diese Zahlen, die horrend sind im "Schwarzbuch des Kommunismus" wahrscheinlich maßlos übertrieben sind.

Das ist keine Abwertung oder Beschönigung, aber es ist falsch meiner Meinung nach aus der Sicht eines Historikers, wie ich es bin, einfach nur mit den Zahlen von Toten, mit den Opferzahlen zu agieren. Denn genau so gut könnte man dem britischen Kolonialreich vorwerfen, dass in Indien noch in den dreißiger Jahren bei einer Hungersnot über eine Million Menschen zugrunde gegangen ist. Ich bin gegen solche Aufrechnungen. Das ist eigentlich eine Sache, die eines Historikers unwürdig ist. Wenn ein Historiker über etwas schreibt muss er vor allem den Maßstab an sein eigenes Land anlegen in dem man lebt und wirkt.





Frage: Teilen Sie die Unruhe, die von einigen Historikern geäußert wird, dass der Antikommunismus zur Rückkehr des Nazismus schließlich führen könnte? Gibt es Gründe um über bestimmte Tendenzen zu sprechen: vom übermäßigen Konsumdenken über Antikommunismus zum Nazismus?

Video Teil 8.



Ich glaube nicht, dass in der gegenwärtigen Situation eine Befürchtung vorhanden sein könnte, dass es direkt wieder das hochkommt, was in der Zeit des Nationalsozialismus passiert ist. Es gibt viel größere und gefährlichere Dinge, die eigentlich unbemerkt von der Masse der Menschen geschehen auch in unseren demokratischen politischen Systemen. Und das ist eine schleichende Entdemokratisierung, die stattfindet, die sich an zahlreichen Äußerlichkeiten zeigt. Zum Beispiel, diese Sucht der Überwachung der Menschen.

Ich kann mich erinnern, ich war ein Kind in der Zeit des Kalten Krieges, in den 40-er und 50-er Jahren und es gab keine solche Gesinnungsschnüffelei, wie es heute der Fall ist. Es bestehen nämlich die technischen Möglichkeiten, wenn man am Computer im Internet surft oder mit dem Handy telefoniert, man ist ununterbrochen überwacht.

Und das ist eine Sache, die interessant ist. Das muss ja einen Grund haben, denn warum ist in einer Situation, in der überhaupt keine irgendwelche Gefahr einer Revolution von unten der Volksmassen, für die Herrschenden in der westlichen Welt besteht eine derartige Furcht, die sich äußert in dem man alles um die Leute aushorcht und beschnüffelt.

Gut, heute ist der Hauptfeind anscheinend der internationale Terrorismus, der hat also den Kommunismus als Hauptfeind abgelöst. Aber das Entscheidende ist, dass man anscheinend ohne Feindbild in der westlichen Gesellschaft nicht auskommen kann und dass sich das vor allem in dieser Art der schleichenden Entdemokratisierung zeigt.



Frage: Glauben Sie, dass Russland mit seiner kommunistischen Vergangenheit immer noch die Rolle des externen Feindes spielt?

Video Teil 9.



Also, wenn man sich das alles anschaut, was jetzt passiert ist in der letzten Zeit, dann muss man das sehr wohl bejahen. Immer noch äußerlich sind die Beziehungen etwa zwischen den USA oder anderen westlichen Großmächten zu Russland korrekt. Man trifft sich, man schüttelt sich die Hand, man umarmt sich, aber man sieht dass immer noch Russland zuerst einmal ein nicht auf gleicher Augenhöhe befindlicher Staat ist in der Sicht der USA, und zweitens weist man den Vorwurf, dass immer noch nicht eine wirkliche Demokratie in Russland herrscht und so weiter und so fort.

Das heißt, meiner Meinung nach, der Grund dafür, dass Russland immer noch eine Art Feinbild ist, sehr einfach: die Putin-Administration im Unterschied zur vorhergehenden Jelzin-Administration achtet darauf, dass das westliche Kapital keinen übermäßigen Einfluss in Russland erlangt und das ist etwas, was den Westen nach wie vor sehr stört. Das sieht man an diesen Propagandafeldzügen, die von Zeit zu Zeit in Russland stattfinden: mit den "Pussy Riot" und bei der letzten Wahl Putins und so weiter.

So ähnlich ist es auch in Belorussland (Weißrussland – A. d. Ü.). Ich war letztes Jahr dort und habe die dortige Reiseführerin gefragt: "Wem gehören eigentlich die ganzen großen Betriebe in Weißrussland?" Und sie hat gesagt: "Dem Staat". Lukaschenko und ähnlich auch Putin verwehren dem westlichen Kapital das Eindringen in diese Länder. Natürlich gibt es dort McDonalds in Minsk und auch verschiedene Banken der westlichen Länder, aber dass die Industriebetriebe, die Bodenschätze etc. in die Hand westlicher Konzerne kommen, das wird verhindert. Und das ist eine Sache, die nach wie vor schlecht ankommt im Westen und das ist, meiner Meinung nach, der Hauptgrund dafür, dass dieses Feindbild auch in politischer Hinsicht nach wie vor existiert.

Frage: Gibt es im Moment politische und juristische Möglichkeiten die historischen Falsifikationen zu stoppen? Diejenigen Falsifikationen, die eine breite Werbung in den offiziellen Massenmedien bekommen. Wie kann man Ihrer Meinung nach diese massiv ansteigenden Prozesse anhalten?

Video Teil 10.

Also ich glaube juristische Möglichkeiten gibt es nicht. Die Geschichtsdarstellung, Geschichtsdeutung, alles das sind Dinge die man nicht durch ein Gerichtsprozess entscheiden kann. Wer sagt die Wahrheit und wer lügt? Es gibt nur politische Möglichkeiten dem entgegenzutreten und das besteht schlicht und einfach in der Tatsache, dass man diesen anderen Auffassungen sucht entsprechende Möglichkeiten zu geben, wobei dies heute auch viel schwieriger ist, als die Gegenmeinung, die massiv propagiert wird und auch finanziell unterstützt wird von den entsprechenden Kreisen.

Man weiß, dass in den westlichen Ländern es hochdotierte wissenschaftliche Institutionen gibt, die sich überhaupt nur damit beschäftigen, Kommunismus zu diskreditieren: die Totalitarismus Theorie, die so genannte Sowjetforschung wie sie seinerzeit geheißen hat, die SAC (Soviet and Communist studies – A. d. Ü.), und das ist seit das Jahr 1989 und dann in der Sowjetunion das Jahr 1991 gewesen ist, ja von kommunistischer Seite eben nicht mehr vorhanden. Das heißt, diejenigen, die sich um das Gegengeschichtsbild bemühen, die haben nicht diese großen finanziellen Möglichkeiten das zu propagieren, aber unbedingt gemacht werden muss es.

Und das Hauptmedium ist heute tatsächlich das Internet, denn hier hat man ja eine Basis von Hunderten Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, diese Dinge zu präsentieren. Und ich glaube, dass es vor allem wichtig, dass man dieses Medium für solche Gegendarstellungen verstärkt benützt.

Frage: Wie schauen dabei die Zukunftsperspektiven für unsere Kinder aus?

Video Teil 11.

Ich bin jetzt in einem Alter und ich sehe das auch an meinen eigenen zwei Söhnen verglichen mit der Zeit als ich studiert habe, schauen die Zukunftsperspektiven der jungen Menschen in unserer Gesellschaft sehr schlecht aus. Meine beiden Söhne sind qualifizierte Wissenschaftler. Einer hat drei Diplome. Er ist Magister, Doktor. Der Andere ist ebenfalls Jurist. Aber, sie sind nach wie vor Arbeitslos und leben von Fall zu Fall von Arbeiten und Forschungsaufträgen, aber haben keine wirkliche Sicherheit in ihrem Berufsleben. Und das ist eine Sache, die eng zusammenhängt mit dem Verschwinden des kommunistischen Weltsystems.

Man konnte es damals sich nicht leisten, dass man den Großteil der Menschen ohne existenzielle Absicherung lässt aus Angst, dass sie da Sympathien gewinnen.

Eines steht fest, das sozialistische System hat keine Arbeitslosigkeit gekannt. Als es existiert hat, gab es auch eine sehr niedrige Arbeitslosenrate im Westen und seit es weg ist sie enorm.

Das heißt die Zukunftsperspektiven für die jungen Menschen sind sehr trübe und ich fürchte, dass das der gesellschaftlichen Boden sein kann, dass wiederum vor allem Rechtsextreme Bewegungen bei diesen frustrierten arbeitslosen jungen Leuten eine Basis gewinnen können. Da muss man sagen das sind die oben, die politischen Mächtigen, vollkommen blind gegenüber dieser Gefahr und sie müssen eigentlich eine ganz andere Wirtschaftspolitik betreiben, um das aufzuhalten. Wird aber nicht getan. Leider ist es so.




Frage: Was sagen Sie zu der Meinung, die immer wieder in den offiziellen geschichtlichen Quellen oder quasi geschichtlichen Quellen, auftaucht und zwar die These bzw. die Meinung über die Millionen von vergewaltigten deutschen Frauen die von der herankommenden Roten Armee das erlitten haben? Und zwar eben wo es gerade nicht um die Einzelfälle geht, dass es bei jeder immer Armee gab, sondern wirklich um die gewaltige Zahlen die sich auf Millionen beläuft?

Ob Sie der Meinung sind, oder nicht. Es ist ja auch im gesellschaftlichen und politischen Sinn.

Video Teil 12.

Bekanntlich ist ja der Ilja Ehrenburg beschuldigt worden, dass er dazu aufgerufen hat, die Soldaten der Roten Armee diese Vergewaltigungen, sobald sie das deutsche Territorium betreten, massenhaft zu praktizieren. „Breche den Rassenhochmut der deutschen Frauen“ so hat Ehrenburg das geschrieben1. Ich nehme an, dass es tatsächlich in irgendeiner Armeezeitschrift, wo Ehrenburg viel veröffentlicht hat in dieser Zeit 1943-1944, drinnen gestanden ist.

Auf der anderen Seite, habe ich einen familiären Hintergrund, wo das ganz anders aussieht. Denn als die Rote Armee Wien eingenommen hat, in der Woche von 7 bis 13 April 1945, hat es eigentlich das nichtgegeben. Und ganz im Gegenteil. Aus meiner Familie weiß ich, dass es eine echte Befreiung gewesen ist. Mein Vater ist damals mit einem Schlag – er war ein einfacher Arbeiter – durch den Kommandanten von Wien, Generalleutnant Blagodatov, zum damaligen Polizeichef von Wien ernannt worden. Binnen weniger Tage ist er in eine hohe staatliche Position gelangt. Das was sonst unmöglich ist in normalen Zeiten.

Und man weiß, dass es erst dann, als die kämpfende Truppe die Städte erobert und befreit hatte, dass dann beim Drehen und die nachgekommen sind, solche Dinge vorgefallen sind. Ich glaube aber, dass auch diese Zahlen maßlos übertrieben sind mit den Vergewaltigungen. Das es sie gegeben hat steht fest.

Andererseits weiß man erst seit kurzem, ich glaube, zwei deutsche Historikerinnen haben ein Buch geschrieben, über die Vergewaltigungen der Soldaten der deutschen Wehrmacht auf dem Territorium der Sowjetunion. Sie haben geschätzt, dass es fast eine Million von Kindern gegeben hat, die eben aus solchen Vergewaltigungen, teilweise auch Liebesbeziehungen zwischen Soldaten der Wehrmacht und Russinnen oder Ukrainerinnen und was auch immer, da gewesen sind.

Entscheidend ist, dass es ein stehendes Geschichtsklischee ist, bis heute in Österreich, dass es gar keine Befreiung gewesen ist 1945, denn die Rote Armee hatte da gewütet und geraubt und die Uhren abgenommen den Menschen und diese Vergewaltigungen und anderes mehr. Aber so bedauerlich es auch ist, in den Einzelfällen die es damals gegeben hat, man muss es in einen großen geschlichen Zusammenhang einreihen. Die Welt ist im Jahr 1945 mit der Befreiung Europas vom Faschismus und wo die Rote Armee den Hauptanteil hatte, eine andere und eine bessere geworden. Und das wäre im Falle eines Sieges Hitlers nie der Fall gewesen! Das ist das Entscheidende.

Frage: Ist es in den Historikerkreisen und den gesellschaftlichen Kreisen bekannt, dass es für eine Vergewaltigung die Soldaten und Offiziere zur Todesstraffe verurteilt wurden? Wenn sie ertappt wurden, dass sie hingerichtet wurden, auch am Ende des Krieges als siegreiche und ruhmreiche Militärs.

Video Teil 13.

Ja das ist bekannt, dass es von Seiten der Kommandeure der Roten Armee sehr wohl gegeben hat. Nur, man kann nicht alles strikt kontrollieren, was passiert und wenn irgendwo im Teil der Sowjetischen Besatzungszone im Mühlviertel oder Weinviertel im Niederösterreich in einem Dorf gegeben hat, dann ist dieser Vorfall dagewesen. Und manchmal ist er eben bekannt geworden den Offizieren, und sie haben den entsprechend geahndet und gestrafft und manchmal eben nicht. Aber, das ist bekannt.

Noch etwas hängt damit zusammen, die Anderen die Einmarschiert sind in Österreich, die Amerikaner, Briten, Franzosen haben das nicht in dem Sinne notwendig gehabt, gegenüber der weiblichen Bevölkerung. Die haben also dann die freiwillige Hingabe erlebt, indem sie materielle Werte, Zigaretten oder Lebensmittel ihnen zur Verfügung gestellt haben.

Bei der Roten Armee war das anders. Aber ich glaube, dass es immer versucht worden ist, dass man diese Dinge möglichst unterbindet. Das es nicht durchschlagend gelungen ist, dass hängt mit diesen Umständen zusammen, die ein Krieg mit sich bringt. Es waren keine Engel. Die einfachen Menschen, die da teilweise von Stalingrad bis Wien zu Fuß gegangen sind. Ich habe einmal einen Offizier kennengelernt bei einem Symposium, er hat mir erzählt er ist buchstäblich zu Fuß von Stalingrad bis Wien marschiert, 1943 bis 1945 im Rahmen der 3. Ukrainischen Front, die dann Wien eingenommen hat unter (dem Marschall der Sowjetunion) Tolbuchin.

Und was sie da erlebt haben, auf ihrem eigenem Territorium, die Verwüstungen, die die deutsche Wehrmacht hinterlassen hat, die Zerstörungen. Das alles hat dann natürlich entsprechend psychisch und psychologisch ausgewirkt auf die Soldaten. Und das da starke Rachegefühle gewesen sind, ist klar. Und deshalb ist es eigentlich ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist im Jahr 1945. Die hätten ja massenhaft irgendwelche Leute, die ihnen als Nationalsozialisten verdächtigt waren an die Wand stellen und erschießen können. Aber nein, man hat es tatsächlich überlassen an die ordentlichen Gerichte. Auch in Österreich hat man der österreichischen Justiz diese Möglichkeit gegeben, und es war ein gravierender Unterschied zur gegenteiligen Situation.

Frage: Gibt es sonst was Sie zu dem Thema sagen möchten?

Video Teil 14.

Ich gebe es ihnen dann, damit sie wissen worüber ich gesprochen habe. Ich hab da ein Artikel verfasst über den Wiederaufbau der Wienerpolizei im Jahr 1945 und die Rolle die da mein Vater gespielt hat.

Wenn man jetzt die konkrete österreichische Entwicklung nach 1945 ansieht und aus der heutigen Sicht der Erfahrungen darüber spricht im Jahr 2012, muss man sagen, dass vor allem die Sowjetunion eine höchst wichtige und positive Rolle gespielt hat, dass dieses Österreich eine bessere Entwicklung genommen hat, als nach dem Ersten Weltkrieg.

Und die 10 Jahre der Besatzungszeit muss man auch viel positiver einschätzen, als das üblicherweise in den österreichischen Geschichtsdarstellungen gemacht wird. Vor allem hat sich die Sowjetunion strikt gehalten an die Moskauer Deklaration von 1943: Wiederherstellung Österreichs als unabhängiger Staat, vollständige Trennung mit Deutschland, Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse. Die Tatsache, dass sie damals die Renner Regierung installiert haben hat entscheidend dazu beigetragen, dass zum Beispiel die Spaltung Österreichs, wie sie in Deutschland passiert ist 1949 angehalten wurde. Auch die Tatsache, dass dann der Staatsvertrag unterzeichnet wurde und die immerwährende Neutralität proklamiert wurde hat eigentlich die positivste Periode der österreichischen Entwicklung eingeleitet, von 1955 bis in die 80er – 90er Jahre hinein. Die guten Beziehungen Österreichs zur Sowjetunion in dieser Zeit haben eine sehr wichtige und positive Rolle gespielt.

Frage: Beim Staatsvertrag bzw. bei Moskauer Deklaration, ich glaube es war so, dass sich die sowjetische Regierung durchgesetzt hat, wo es um die Schuldzuschreibung im Bezug auf Österreich gegangen ist, wo es nicht jedem einzelnem Bürger die Schuld zugeschrieben wurde, sondern den regierenden Mächten und somit hat man die Gesamtbevölkerung von Österreich von der Verantwortung jeder einzelner Person freigestellt.

Video Teil 15.

Ja, es ist auch in den Proklamationen, die Tolbuchin hielt. Als die österreichische Grenze überschritten wurde, hat der Tolbuchin als der Kommandeur der 3. Ukrainischen Front einen Aufruf an die österreichische Bevölkerung gelassen, dass die sowjetischen Truppen in einer Befreiungsmission in Österreich einmarschieren und dass versprochen wird, wenn sich die Bevölkerung loyal verhält, dass es keine irgendwelche Straffexpeditionen oder Repressalien gegenüber der österreichischen Bevölkerung getan werden. Und das ist auch im wesentlichen geschehen.

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"Stellungnahme zur Frage des Verhaltens der Angehörigen der Roten Armee in Deutschland und Österreich 1944/45 vom 22.03.2013

Der angebliche Aufruf Ilja Ehrenburgs, deutsche Frauen zu vergewaltigen („Brechet den Rassenhochmut der deutschen Frauen“), ist mit Sicherheit eine Fälschung, fabriziert im November 1944 vom Reichspropagandaministerium des Joseph Goebbels und verbreitet in einem Tagesbefehl des Oberbefehlshabers der deutschen Heeresgruppe Nord. Vom „Original“, sei es in sowjetischen Armeezeitungen oder in Flugblättern, ist nie auch nur eine Spur gefunden worden.

Von Ehrenburg, aber auch anderen Schriftstellern wie Konstantin Simonow, Alexej Tolstoi, Michail Scholochow und Alexej Surkow, ist bekannt, dass sie den Hass gegen die Deutschen schürten. Ehrenburg schrieb in der Armeezeitung „Roter Stern“ am 13. August 1942: „Wir werden alle töten. Aber wir müssen es schnell tun, sonst werden sie ganz Russland entweihen und noch Millionen Menschen zu Tode quälen.“ Und tags darauf, ebenfalls im „Roten Stern“: „Wenn Du einen Deutschen getötet hast, bringe den nächsten um – es gibt nichts Schöneres als deutsche Leichen.“ (Zitiert bei: Alexander Werth, Russland im Krieg 1941-1945, Knaur-Taschenbuchausgabe, München-Zürich 1967, 1. Band, S. 313.)

Diese Hasspropaganda hatte im „schwarzen Sommer“ 1942 eine positive Wirkung, weil sie entscheidend dazu beitrug, die Moral der Russen und der Soldaten der Roten Armee in einer Situation tödlicher Gefahr, beim deutschen Vormarsch auf Stalingrad und den Kaukasus, aufrecht zu erhalten.

Die Hassgefühle fanden 1943 und 1944 bei der Vertreibung der Deutschen von sowjetischem Boden ihre Bestätigung und Verstärkung. Die deutsche Besatzungspolitik seit 1941 bestand aus nahezu ununterbrochenen monströsen Verbrechen, und jede befreite Stadt, jedes befreite Dorf in Russland, Weißrussland und der Ukraine hatte eine furchtbare Geschichte des Terrors, der Massenmorde, der Verschleppungen zur Zwangsarbeit und Erniedrigungen zu erzählen. Alexander Werth schreibt dazu (2. Band, S. 561): „Was Alexej Tolstoi und Scholochow und Ehrenburg über die Deutschen geschrieben hatten, war nichts im Vergleich zu dem, was die russischen Soldaten mit ihren eigenen Ohren hören, mit ihren eigenen Augen sehen – und mit ihrer eigen Nase riechen konnten. Denn, wo immer auch die Deutschen gewesen waren, hing der Geruch verwesender Leichen in der Luft.“

Für die Truppen der Roten Armee war es 1944/45 auf deutschem Territorium deshalb schwer, ihren Rachedurst zu bändigen, und es kam zu Rauben, Plünderungen und Vergewaltigungen. Diese nicht zu bestreitenden Tatsachen müssen aber im Gesamtzusammenhang, als Folge von Ursachen gesehen werden. Verglichen mit dem, was die Deutschen in der Sowjetunion an Massenmorden und anderen Grausamkeiten begangen hatten, hielten sich die Ausschreitungen der sowjetischen Soldaten in Grenzen, und es muss sogar als Wunder bezeichnet werden, dass nichts Ärgeres geschah.

Dazu trugen Anfang 1945 Maßnahmen der Führung der Roten Armee und der sowjetischen Regierung in der Erkenntnis bei, dass man in Deutschland bald einer Vielzahl politischer und administrativer Probleme gegenüberstehen würde, die nicht einfach auf der Basis des Schlagworts „Alle Deutschen sind Verbrecher und schlecht“ zu regeln waren. So schrieb die Armeezeitung „Roter Stern“ in einem Leitartikel am 9. Februar 1945: „Auge um Auge, Zahn um Zahn ist ein alter Spruch. Aber man muss ihn nicht wörtlich nehmen. Wenn die Deutschen marodierten und unsere Frauen schändeten, heißt das nicht, dass wir dasselbe tun müssen. Das war niemals so und wird niemals so sein. Unsere Soldaten werden es nicht zulassen, dass so etwas geschieht, nicht aus Mitleid mit dem Feind, sondern aus dem Gefühl für ihre persönliche Würde. Sie wissen, dass jeder Bruch der militärischen Disziplin nur die siegreiche Rote Armee schwächt (...) Unsere Rache ist nicht blind. Unser Zorn ist nicht unvernünftig.“ (Zitiert bei Werth, 2. Band, S. 702.)

Und am 14. April 1945 veröffentliche der hohe Parteifunktionär G.F. Alexandrow in der „Prawda“ einen Artikel mit der Überschrift „Der Genosse Ehrenburg vereinfacht zu sehr“, in dem er, anknüpfend an Stalins berühmten Ausspruch „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk, der deutsche Staat aber bleibt“, Ehrenburg vorhielt, dass es sowohl unmarxistisch als auch unklug und falsch sei, alle Deutschen als Unmenschen zu bezeichnen und zu behandeln, weil das russische mit dem deutschen Volk auch künftig koexistieren müsse.

Auch in Österreich versuchte die sowjetische Armeeführung durch Befehle, Weisungen und konkrete Maßnahmen, Übergriffe zu verhindern. Im Aufruf des Militärrats an die Truppen der 3. Ukrainischen Front vom 4. April 1945 hieß es: „Während ihr erbarmungslos mit den deutschen Unterjochern abrechnet – verschont dabei das friedliche österreichische Volk. Achtet die Lebensweise, die Familie, das Eigentum. Die ganze Welt soll nicht nur die alles besiegende Stärke der Roten Armee sehen, sondern auch den hohen Grad an Disziplin und Kultur ihrer Soldaten.“ (Abgedruckt in: Stefan Karner u.a. (Hrsg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente, Graz-Wien-München 2005, S. 79.) Vorausgegangen war dem ein direkter Befehl Stalins an die Oberbefehlshaber der 2. und 3. Ukrainischen Front, Malinowski und Tolbuchin, vom 2. April 1945, „die Bevölkerung Österreichs nicht zu beleidigen, sich korrekt zu verhalten und die Österreicher nicht mit den deutschen Besatzern zu verwechseln.“ (Ebenda, S. 77) Vom 3. Mai 1945 ist auch ein Dokument vorhanden, in dem die Truppen des NKWD in Österreich angehalten werden, gegen „verbrecherische Elemente“ aus den Reihen der Roten Armee rigoros vorzugehen und Übergriffe zu bestrafen. (Ebenda, S. 147f.)

ao.Univ.Prof. i.R. Dr. Hans Hautmann
Wien, 22. März 2013.





1 Anlässlich dieses Satzes haben die Autoren des Filmes zusammen mit Prof. Hautmann eine Nachforschung durchgeführt und haben festgestellt, dass es sich bei diesem Zitat um eine klare Fälschung geht, wovon der Experte zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht gewusst hat. Die gesamte Stellungnahme bringen wir am Ende dieses Stenogramms zur Gänze an.